Norden gewinnt Blech

Kulturhauptstadt-Entscheidung: Jury verweist Braunschweig, Bremen und Lübeck auf die Plätze. An der Ostsee hatte man allerdings schon lange begonnen, sich über die Niederlage hinwegzutrösten

von Benno Schirrmeister

Lübeck hat’s am leichtesten. Denn dort hatten die Überlegungen, wie mit der Niederlage umzugehen ist, schon vor Wochen begonnen. Lange also bevor die Jury ihr Votum bekannt gab. Für den Norden zusammengefasst lautet es: Keine der hiesigen Kulturhauptstadt-Kandidatinnen spielt bei der Titelentscheidung in Brüssel eine Rolle. Essen – ja, und Görlitz auch. Aber Braunschweig nicht und Bremen nicht, obwohl beide mit Millionen-Budgets ins Rennen gegangen waren. Und Lübeck, mit einem Gesamt-Etat von 350.000 Euro am Start, ohnehin nicht.

Jetzt können die beiden größeren Städte von der Königin der Hanse wieder einmal etwas lernen. Sie hat nämlich einen Reflexionsvorsprung im Verarbeiten des Negativ-Entscheids. Zuerst hatte man die Schlechte-Verlierer-Variante erprobt: Er befürchte, zitierten die Lübecker Nachrichten Bürgermeister Bernd Saxe (SPD) vor zehn Tagen, „dass die Entscheidung unter partei- und regionalpolitischen Gesichtspunkten ausgepokert wird“. Später wurde es dann konstruktiver: Man machte sich Gedanken, wie man das Bewerbungs-Logo auch nach dem Ausscheiden noch nutzen kann. Und jetzt kommt noch, aber natürlich, die Weisheit zu Wort. Die hat man in Lübeck nämlich gepachtet. Sie heißt Günter Grass und fordert, man solle sich „gefälligst als Kulturhauptstadt benehmen“, auch ohne den Zuschlag. Wobei das auch als Verdrängungs-Mechanismus verstanden werden könnte: Er hebt den Fremdenverkehrs-Promotion-Gag, sich ein Jahr lang europäischer Kultur-Champion zu nennen, in immateriell-idealische Sphären.

Für die eigentliche Trauma-Bewältigung taugt das aber nicht. Und es wird desto problematischer, je höher der materielle Einsatz war. Denn da stehen die Dumpfdenker schon bereit: So feierte das Kultur-ist-Luxus-Gemotze im Bremer öffentlich-rechtlichen Fernsehen anlässlich der Entscheidung fröhliche Urständ’. Wobei Luxus an der Weser ein anderes Wort für Einsparpotenzial ist. Bemerkenswert: Bislang hatte sich die Rundfunkanstalt noch stets als Teil der lokalen Kulturlandschaft dargestellt.

Solche Debatten kann vielleicht vermeiden, wer bis ganz zum Schluss kämpft: Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) lässt vorsorglich die Muskeln spielen; der Bundesrat, so sein Hinweis, müsse ja noch zustimmen. Die Chancen, dass sich die Länderkammer übers Jury-Votum hinweg setzt, sind allerdings minimal. Dafür haben schon die von der Kultusminister-Konferenz beauftragten Experten gesorgt: Damit ihre Zweier-Liste nicht von der Länderkammer erweitert wird, haben sie ein Ranking der Ausgeschiedenen vermieden. Sie sind alphabetisch sortiert. Klar ist also: Es gibt Gold für Essen, weil „innere und äußere Dimension der Bewerbung“ alle anderen überragt. Es gibt Silber für Görlitz, weil das Projekt „von visionärer Kraft“ zeuge. Und es gibt Blech für den Rest.