Im Club der Querulanten

Horst Seehofer (CSU) stellt das neue Buch von Oskar Lafontaine (SPD) vor. Einmütig geißeln beide den Sozialabbau – und bilden eine Allianz der verstoßenen Politiker

„Eine Volkswirtschaft kann nicht wachsen, wenn es dem Volk schlecht geht“

BERLIN taz ■ Sie sind nicht mehr jung, aber ärgerlich. Männer sind sie. Und bald sind sie genug, dass sie doch noch eine Partei aufmachen könnten. Oder jedenfalls einen Club. Den Club der „Einzelgänger, Isolierten, Verstreuten, Querulanten“, um in den Worten des möglichen Clubgründers Horst Seehofer zu sprechen.

Die Anzahl der verstoßenen Politiker und Experten, die sich gegen den rot-grün-schwarz-gelben Sozialstaats- und Lohnabbau stemmen, wächst langsam, aber stetig. Sie schreiben Bücher, streicheln die Basis und behaupten, dass das Spaß mache. Neuerdings erhalten sie sogar in den Medien Platz, die stets „mehr Reformen!“ fordern. Mit der Umsetzung von „Hartz IV“ ist wieder mehr Raum für die Botschaft entstanden, dass weniger Sozialstaat nicht automatisch weniger Arbeitslose bedeutet.

Der CSU-Politiker Seehofer zum Beispiel wurde vergangenen November von CSU-Chef Edmund Stoiber und CDU-Chefin Angela Merkel aus dem Fraktionsvorstand getrickst. Er weigerte sich, die „Kopfpauschale“ mitzutragen, weil sie im Gesundheitssystem Geld von unten nach oben umverteile.

Seehofer nun stellte gestern das neue Buch von Oskar Lafontaine vor. „Politik für alle“ heißt der Band (taz-Besprechung folgt). Der Ex-SPD-Chef legt darin seine dritte große Abrechnung mit Rot-Grün seit seinem Rücktritt vor exakt sechs Jahren vor. Natürlich sagte er gestern: „Das Buch richtet sich nicht gegen Rot-Grün.“ Einmal zu oft hatte jemand behauptet, Lafontaine arbeite sich bloß am Kanzler ab.

Lafontaine wäre im Club ein prima Schatzmeister. Für den anderen Saarländer, den SPD-Fraktionslinken Ottmar Schreiner, für den Willy-Brandt-Berater Albrecht Müller, für den Ex-CDU-Generalsekretär Heiner Geißler gäbe es bestimmt auch Posten. Als Volkswirtschaftler wären Gustav Adolf Horn dabei, der jüngst beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin rausflog, und Heiner Flassbeck, Lafontaines ehemaliger Staatssekretär.

Früher mögen manche von ihnen Feinde gewesen sein. Ein gemeinsamer Nenner, der in der Bonner Republik gar nicht zählte, taugt in der Berliner Republik als Pfund, zusammen damit zu wuchern: „Eine Volkswirtschaft kann nicht wachsen, wenn es dem Volk schlecht geht“, um in den Worten Lafontaines zu sprechen. Oder in den Worten Seehofers: „Es ist eine Irrlehre, dass der Sozialstaat schuld ist am wirtschaftlichen Niedergang.“

Am gestrigen Tag, da der Sturm den Schnee waagerecht durch die Berliner Häuserschluchten trieb, kamen zweihundert Journalisten ins Pressehaus im Regierungsviertel, um Seehofer und Lafontaine zu sehen. Was für ein Paar: Seehofer, Helmut Kohls letzter Gesundheitsminister, war der Wahlverlierer von 1998 – und Lafontaine, Gerhard Schröders erster Finanzminister, der Gewinner.

Nun saßen sie mit erholten Frührentnergesichtern einträchtig nebeneinander und geißelten den Neoliberalismus. Wobei Seehofer lieber Lafontaine von der Seite anlächelte als umgekehrt. Recht eigentlich jedoch geißelten sie alle, die vor ihnen saßen. Denn um Politik nicht für alle, sondern für wenige zu machen, brauche es einen Konsens der Eliten, herzustellen mit einer Sprache, die das Denken verändere, so die These.

Lafontaine gestand: Etwa dem Begriff Lohnnebenkosten „bin ich selbst lange Zeit auf den Leim gegangen“. Wer jedoch den Begriff Lohnnebenkosten durch „Geld für Kranke, Rentner, Arbeitslose und Pflegebedürftige“ ersetze, dem klänge des Kanzlers „konsequente Politik der Lohnnebenkostensenkung“ ganz anders in den Ohren. Seehofer sagte, die Sprache der abstrakten Schubladen diene auch dazu, Personen zu denunzieren und sich mit Inhalten nicht auseinander setzen zu müssen.

Denn die mit dem Persönlichkeitsfimmel und dem Populismus sind immer die anderen. ULRIKE WINKELMANN