türken und armenier
: Eine offene Debatte ist nötig

Der Österreicher Franz Werfel war ein hervorragender Schreiber. Sein Werk „Die vierzig Tage des Musa Dag“ hat es auf literarische Weise geschafft, im deutschsprachigen Raum auf das den Armeniern geschehene Unrecht aufmerksam zu machen.

KOMMENTAR VON CEM SEY

Die Nachkommen der armenischen Opfer halten das Thema auf der Tagesordnung. In ihrer kollektiven Erinnerung sind die Massaker an ihren Großeltern genauso lebendig wie vor 90 Jahren. Man kann es verstehen.

Genauso könnte man die Türken verstehen, die die Ereignisse von 1915 in ihren kollektiven Erinnerung, in Form von hunderttausenden durch armenische Freischärler ermordeten muslimischen Zivilisten, aufbewahrt haben. In der Tat können viele Türken davon berichten, wie ihre Großeltern während des Ersten Weltkrieges vor „mordenden armenischen Banden“ flüchten mussten oder deren Opfer wurden.

Die Deutschen wären deshalb gut beraten, enorm aufzupassen, wenn sie sich zum „Genozid an den Armeniern“ äußern. Denn das hört sich in vielen türkischen Ohren wie ein vorgefertigtes Urteil an – auch wenn es nicht so gemeint ist. Es handelt sich nämlich nicht um ein Massaker, das vor 90 Jahren geschah und heute keinen mehr berührt. Nicht nur die armenischen Nachkommen der Opfer wollen ihren Schmerz endgültig überwinden. Den Türken geht es ähnlich.

Hinzu kommt, dass die Deutschen bei den Migranten hierzulande im Verdacht stehen, pauschal zu urteilen, wenn es um andere Völker geht. Deshalb darf das Ergebnis einer Debatte, die noch stattfinden muss, nicht vorgeschrieben werden, wenn diese Debatte zur Versöhnung zwischen den beiden Völkern beitragen soll. Vielmehr kann in Berlin gezielt eine offene Debatte mit allen Argumenten – also auch gegen die Genozidthese – angeregt werden. Wozu sich die Türken in der Stadt bereit erklären. Das war auch nicht immer so.