Mehr als eine Zwischenstation

Zum ersten Mal überhaupt finden in Moskau die Eiskunstlauf-Weltmeisterschaften statt. Während die Russen in allen vier Disziplinen zu den Favoriten zählen, plagen die deutsche Medaillenhoffnung Stefan Lindemann Rückenprobleme

MOSKAU taz ■ Als es vor einem Jahr vor den Weltmeisterschaften in Dortmund um die Aussichten der deutschen Eiskunstläufer ging, gab deren Präsident, Reinhard Mirmseker, vorsichtig der Hoffnung Ausdruck, es möge möglichst wenig daneben gehen. Doch dann schwebten sie in der Westfalenhalle von einem Fest zum nächsten, feierten einen selbst in den kühnsten Träumen nie erwarteten dritten Platz von Stefan Lindemann und am Ende die lange Jahre erhoffte Medaille der Eistänzer Kati Winkler und René Lohse.

Und das Glück währte länger als gedacht, untermauert und in Form gehalten von frischem Selbstbewusstsein und weiteren Erfolgen. Lindemanns dritter Platz vor wenigen Wochen bei der EM in Turin und der steile Aufstieg des Paars Sawtschenko/Szolkowy waren mehr als nur Hinweis darauf, dass mächtig was in Gang gekommen ist im deutschen Eiskunstlauf. Doch wenn heute im Moskauer Luschniki-Park die WM 2005 beginnen, geht Lindemann mit dem Handicap einer im Training erlittenen Muskelzerrung im Rücken in den Wettbewerb. Und obwohl der Erfurter meint, die Schmerzen ließen allmählich nach und es gehe schon besser, ist nun doch wieder Vorsicht angebracht.

Nach einem nationalen Wettbewerb vor zwei Wochen hatte Lindemann voller Optimismus erklärt, jetzt müsse er die gute Form nur noch bis Moskau halten, aber genau das klappte nicht. Zuerst eine Grippe, dann die Verletzung, und deshalb sagt Ilona Schindler, die Trainerin, die Vorbereitung auf die WM sei insgesamt nicht optimal gelaufen. Schwer zu sagen, was unter diesen Umständen möglich ist. „Wie in Turin soll Stefan zeigen, dass er zum Kreis jener gehört, die um die Medaillen laufen“, hatte Reinhard Mirmseker gesagt, bevor er von Lindemanns Missgeschick wusste. Weitere Erkenntnisse darüber, wie sich die Lage nun darstellen wird, sind in der heutigen Qualifikation zu erwarten.

So oder so – der Weg von Turin nach Moskau führt jedenfalls direkt wieder nach Turin zurück, nicht nur für Lindemann. Von den Ergebnissen der WM hängt die Verteilung der Startplätze für die Olympischen Spiele im nächsten Winter ab. Was im Fall der deutschen Paarlaufmeister Aljona Sawtschenko und Robin Szolkowy aus Chemnitz kein egoistisches Unternehmen sein kann. Um bei Olympia starten zu können, hätte die Ukrainerin schon zu Beginn des Jahres einen deutschen Pass haben müssen. Doch den hat sie nicht, damit kann Olympia für sie und ihren Partner kein Thema sein, mit einem Platz unter den besten zehn könnten die beiden allerdings zwei anderen deutschen Paaren den Weg nach Turin bereiten.

Aber natürlich ist Moskau mehr als eine Zwischenstation. Die Hauptstadt ist in dieser Woche zum ersten Mal in der mehr als hundert Jahre währenden Geschichte des Eiskunstlaufs Gastgeber einer Weltmeisterschaft – kaum zu glauben angesichts der russischen Dominanz in diesem Sport. An den letzten großen internationalen Wettbewerb, die EM ’65, werden sich auch nur die Älteren unter den Moskauer Eislauf-Fans erinnern, aber in der 12.000 Zuschauer fassenden Arena wird Platz für neue Bilder und Eindrücke sein.

Möglich, dass die Russen wie vor Wochen in Turin alle vier Titel gewinnen, denn zu den Favoriten gehören sie auch bei der WM in jeder Disziplin. Aber angesichts der Konkurrenz aus Osten und Westen (die Chinesen im Paarlauf, Japanerinnen und Amerikanerinnen bei den Frauen) sind diverse Konstellationen möglich. Nur eines steht fest: Moskau empfängt die Eiskunstläufer aus aller Welt mit offenen Armen. DORIS HENKEL