Eine Stunde unter vier Augen

Seit 50 Jahren bietet die Kölner Verbraucherzentrale Orientierung bei Alltagsfragen. Zunächst nur auf die spezifischen Interessen von Hausfrauen ausgerichtet, ist heute Versicherungsberatung der Renner

Seit Ende der 90er Jahre nehmen immer mehr Menschen professionelle Hilfe in Anspruch, um ihre Telefon- und Handyverträge zu verstehen

VON BENJAMIN TRIEBE

Mit einer schweren Aktentasche in der Hand tritt Frank Scheuß (Name geändert) in das Beratungsbüro der Kölner Verbraucherzentrale. „Ich bin Betriebswirt“, sagt der 35-Jährige, „da sollte ich ja eigentlich selbst den Überblick über meine Versicherungen haben, oder?“ Andreas Kultschera schüttelt ihm die Hand, setzt sich hinter seinen Schreibtisch, greift einen Kugelschreiber und fragt: „Wie geht es Ihnen denn? Irgendwelche körperlichen Beschwerden?“

Kultschera ist Versicherungsberater im Auftrag der Verbraucherzentrale. Für 60 Euro in der Stunde beugt er sich über Berufsunfallverträge und sichtet Haftpflichtpolicen. Rund 220 Anfragen landen täglich bei den Verbraucherschützern, manche lassen sich am Telefon klären, andere erfordern ein Gespräch unter vier Augen. Seit inzwischen 50 Jahren bekommen die Kölner so professionelle Hilfe im Alltag.

Die Fragen nach seinem Wohlbefinden sollte Scheuß beantworten, damit Kultschera beurteilen kann, welche Versicherung für ihn die beste ist. „Haben Sie die Unterlagen mitgebracht?“, fragt der Berater. Scheuß greift in die Aktentasche und zieht einen gut zehn Zentimeter dicken Ordner heraus. „Für meine Frau, unseren zweijährigen Sohn und mich“, erklärt er. „Wir wohnen übrigens zur Miete.“ Ohne mit der Wimper zu zucken dreht Kultschera den Ordner zu sich herum und stellt fest: „Dann ist das größte Problem in Ihrem Fall wohl die Privathaftpflicht.“

Beratung in Versicherungsfragen gehört erst seit den 80er Jahren zu den Aufgaben der Verbraucherzentralen. In den ersten Jahren der Bundesrepublik waren die Zentralen nur auf Hausfrauen ausgerichtet, die rationell Einkaufen und Wirtschaften wollten. Preisvergleiche und Einkaufstipps – mehr wollte man nicht. Als in den 60er Jahren elektronische Haushaltsgeräte auf den Markt kamen, wurden Bedienungskurse für Hausfrauen ausgerichtet. Erst als zehn Jahre später Betrüger auf Kaffeefahrten zuschlugen und Vertreter den Hausfrauen an der Tür Policen aufschwatzten, entwickelte sich eine Rechts- und Versicherungsberatung.

„Im Moment haben Sie eine Deckungssumme von fünf Millionen Euro, Herr Scheuß“, bemerkt Kultschera nach kurzem Aktenstudium. „Das ist ganz gut. Aber es geht auch mit einer Null mehr am Ende – für nur 70 Euro.“ Er nennt den Namen einer süddeutschen Versicherung, da könne Scheuß sich erkundigen. Der zieht ein Laptop aus seiner Aktentasche und schreibt mit.

Andreas Kultschera ist einer der so genannten Honorarmitarbeiter der Verbraucherzentrale. Bei speziellen Themen, etwa Baufinanzierung, Mietrecht oder Energie, laden die Verbraucherschützer externe Fachleute ein. Die Externen müssen neutral sein, dürfen keine eigene Agentur besitzen und nicht von ihren Empfehlungen profitieren.

Rund 25 Minuten sind inzwischen vergangen, Kultschera hat sich durch die Versicherungen der Familie Scheuß gefragt, den Ordner durchforstet und ist beim Abschnitt „Berufsunfallversicherung“ hängengeblieben. Frank Scheuß beklagt sich, dieser Versicherungsanbieter sei der „Meister im Erstellen undurchschaubarer Unterlagen“.

Den Kopf auf eine Hand gestützt, überfliegt der Berater mehrere eng bedruckte Seiten. „Schauen Sie sich diese Klausel mal an“, meint er schließlich. „Als Berufsunfall gilt es, wenn der Unterzeichner eine akademische Ausbildung abgeschlossen hat und zum Zeitpunkt des Unfalls einen Beruf ausübt, der dieser Ausbildung entspricht.“ Schweigen. Scheuß: „Wenn ich also jetzt arbeitslos werde und danach für drei Monate bei Aldi die Regale fülle und dabei einen Unfall habe – gilt der Schutz dann etwa nicht?“ – „Haargenau“, sagt Kultschera.

Zwar ist die Versicherungsberatung heute noch der Renner unter den Beratungen, aber Probleme mit Telekommunikation und Internet laufen ihr langsam den Rang ab. Seit Ende der 90er Jahre brauchen immer mehr Menschen professionelle Hilfe, um ihre Telefon- und Handyverträge zu verstehen. Als nach der Jahrtausendwende Computerprogramme auftauchten, die unautorisiert teure Bezahlnummern wählten (so genannte Dialer), meldete sich fast jeder zweite Ratsuchende wegen einer überhöhten Telefonrechnung.

Es bleiben noch 15 Minuten, Andreas Kultschera senkt die Stimme. „Wie haben Sie für Ihren Todesfall vorgesorgt, Herr Scheuß?“ Laut Vertrag bekommt seine Frau in diesem Fall 62.000 Euro. Beim jetzigen Lebensstandard der Familie reicht das nicht. „Sie brauchen eine zusätzliche 100.000-Euro-Lebensversicherung“, rät Kultschera. Er weist auf einen norddeutschen Anbieter hin, der nimmt dafür nur 50 Euro pro Monat.

Bei allem Ernst des Alltags – manchmal wundern sich auch die Verbraucherschützer, welche Fragen ihnen gestellt werden. Die Leiterin der Kölner Verbraucherzentrale, Susanne Bauer-Jautz, erinnert sich an einen Fall zu Beginn der BSE-Krise: „Da schrieb uns eine Frau und fragte, ob sie sich an ihrem Ledersofa anstecken könnte.“ Doch auch dieser Brief wurde beantwortet. Und auch Frank Scheuß sagt, er sei zufrieden und wolle für eine Detailberatung wiederkommen.

Verbraucherzentrale NRW, Beratungsstelle Köln, Neue Weyerstr. 2, 50676 Köln, Tel. 0221/ 24 07 402