„Hochwasser ist ein Problem von allen“

Die Kooperation für den Hochwasserschutz zwischen den Rheinanliegern Niederlande und NRW wird enger. Die grüne NRW-Umweltministerin Bärbel Höhn über die widerspenstige hessische Landesregierung und Überzeugungsarbeit bei den Bürgern

taz: Was ist der Unterschied zwischen Hochwasserschutz in den Niederlanden und in NRW?

Bärbel Höhn: Die Niederlande liegen tiefer und sind flacher – sie sind vom Hochwasser also stärker bedroht. In Deutschland ist es schwieriger, Schutzmaßnahmen aufzuerlegen. Das Land hat Kompetenzen, aber auch die Kommunen in NRW sind sehr selbstständig. In den Niederlanden kann die Regierung einfacher Maßnahmen planen und umsetzen.

Wäre es besser, wenn die Regierung mehr Macht bekäme?

Nicht immer. Aber bei grenzüberschreitenden Problemen wie dem Hochwasserschutz wäre es besser, wenn Schutzkriterien bundesweit einheitlich festgelegt würden. Am besten funktioniert es, wenn Bund, Land und Kommunen zusammen arbeiten. Es ist besser, die Bevölkerung zu überzeugen als etwas von oben aufzudrücken.

Was machen sie derzeit, falls ein Kreis oder eine Kommune nicht mithilft beim Hochwasserschutz?

Wir versuchen sie natürlich erst zu überzeugen. Meistens gelingt es, obwohl es manchmal auch einige Jahre dauern kann. In Bylerwald im Kreis Kleve gibt es beispielsweise ein besonderes Problem: dort wollen die Bürger auf keinen Fall einen geplanten Rückhalteraum haben. [Das ist ein Lager am Fluss, in das im Notfall Wasser ablaufen kann, um zu verhindern, dass es weiter flussabwärts zu Überflutungen kommt – Anm. d. Red.] Wir haben diese Fläche aber in der Landesplanung so ausgewiesen, dass keine neue Nutzung mehr erlaubt wird. Man darf zum Beispiel nicht mehr bauen. Letztendlich wird also die Bevölkerung die Maßnahmen akzeptieren müssen um wieder mehr Gestaltungsmöglichkeiten zu haben. Dafür ist wohl noch Zeit nötig.

Was ist die Folge dieser Probleme und Verzögerungen?

Es gibt noch keine wirkliche Verzögerung. Inzwischen bauen wir natürlich schon die Rückhalteräume, bei denen es nicht so viele Probleme gibt. Elf sind geplant, sieben sind schon fertig, zwei werden jetzt gebaut und einer wird vorbereitet. Nur für Bylerwald haben wir noch keine Lösung.

Und wie klappt die Zusammenarbeit mit dem Nachbarland Hessen?

Das ist ein größeres Problem, weil die Landesregierung dort zu wenig macht. Selbst Sommerdeiche, die existierende Rückhalteräume zum Fluss hin abschließen, werden nicht mehr gepflegt. Das verschärft die Hochwasserprobleme speziell für Köln und Bonn. Wir können dagegen nicht viel tun. Das ist unsolidarisch. Dies ist ein Beispiel, bei dem die Bundesregierung ihre Verantwortung wahrnehmen und Auflagen machen sollte, die für alle gelten. Alle Länder haben sich einverstanden erklärt, etwas gegen Hochwasser zu tun. Es wäre gut, wenn das auch geschieht.

Deutschland hat schon Probleme, wenn der Rhein 11.000 Kubikmeter Wasser pro Sekunde trägt, in den Niederlanden versucht man bei bis zu 16.000 Kubikmeter Wasser genügend Schutz zu haben. Sind die Niederlanden zu ängstlich oder sind die Deutschen nicht vorsichtig genug?

Nein, wir haben ein anderes Berechnungssystem. Hochwasser bleibt das Problem von allen. Ich denke, die Niederlande und Deutschland haben ungefähr den gleichen Schutzstandard. Die Deiche werden in den Niederlanden ja nicht plötzlich höher. Nur in einzelnen Fällen wie im Kölner Gebiet haben wir keinen Raum für ausreichende Maßnahmen. Dort machen wir das anders: Wir minimieren die Auswirkungen des Hochwassers. Zum Beispiel wird die Industrie gebeten, gefährliche Stoffe sicher aufzubewahren. In Privathäusern sollen Keller gefliest oder Steckdosen höher eingebaut werden. Wir können keine extremen Maßnahmen ergreifen. Man kann nicht einfach ganz Köln umbauen.

Das ist genau das Argument der Bürgerinitiative ‚Hoogwaterplatform‘ in den Niederlanden. Wasser kann immer noch höher steigen. Deshalb wollen die Einwohner der Ooijpolder kein Notfallpolder, sondern nur Raum für den Rhein.

Hochwasserschutz kann nur funktionieren, wenn jeder etwas tut. Warum sollten die Menschen im Kreis Kleve ihre niederländischen Nachbarn schützen, wenn diese selbst keine Opfer auf sich nehmen wollen?

INTERVIEW: TJITSKE YPMA