Nur Omas können Kanzlerdeutsch

Wenn Rheinländer sprechen, halten das Uneingeweihte für schlechtes Deutsch. Sprachforschern ist klar: Rheinisch ist ein gefährdetes Kulturgut, viele örtliche Dialekte sind bedroht. Kölsch dagegen lebt

VON BENJAMIN TRIEBE

Kauft eine ältere Dame in einem Düsseldorfer Buchladen einen Krimi und fragt: „Wenn dat nix is, kann ich dat dann umbringen?“ Antwortet der Verkäufer: „Natürlich, es ist ja schließlich Ihres.“ Hätte der Buchhändler das Rheinische beherrscht, wäre ihm dieses Missverständnis erspart geblieben. „Umbringen“ kann im Rheinischen eben auch heißen: Zurückbringen. Aber liegt die Schuld wirklich beim Buchhändler? Oder ist rheinisches Deutsch einfach schlechtes Deutsch?

Das sind zweifellos Fragen für Gelehrte, zum Beispiel für die Sprachforscher des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR). Der feierte am Montag den „Tag der rheinischen Umgangssprache“ und lud zur Präsentation der neuesten Forschungsergebnisse ins Rheinische Landesmuseum zu Bonn. Mit „rheinischem Deutsch“ meinen sie die Umgangsprache zwischen Krefeld und der Nordeifel, zwischen Aachen und Solingen – einen so genannten Regiolekt. Der darf nicht verwechselt werden mit dem örtlich gefärbten Dialekt, auch Platt genannt. Und davon unterscheidet sich nochmals das „rheinische Hochdeutsch“, oder wie man vor 50 Jahren sagte: das Kanzlerdeutsch.

Der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer sprach zwar ein schriftlich gesehen korrektes Hochdeutsch, aber seine rheinische Herkunft haftete fast jedem Wort an: „Nehmen Se de Menschen wie se sind. Andere jibt et nich.“ Als dem Kanzler einmal ein Buch mit seinen gesammelten Weisheiten überreicht wurde, quittierte er es mit den Worten: „Dat stimmt sicher auch nit alles, wat da drin steht.“

Was für den richtigen Kölsch-Sprecher nur wie ein rheinischer Akzent klingt, ist für Ludwig Zehetner schon „ausländisch“. Zehetner ist Baierisch-Professor aus Regensburg, er hat ein Buch mit dem Titel „Baierisches Deutsch“ geschrieben und fungierte auf der LVR-Präsentation als Experte mit dem Blick von Außen. Als Erstes musste er den rheinischen Experten ausreden, dass Bayern in Sachen Dialekt und Regiolekt ein gelobtes Land ist: In München sei der Dialekt fast ausgestorben, „in München leben ja keine Münchner mehr“. Nur in der Provinz würde noch „baierisches Deutsch“ gesprochen, selbst von den Kindern – soweit die Lehrer nicht versuchten, es ihnen auszutreiben. Zehetner kämpft dagegen an: „Ich gehe auf Missionsreisen zu den Kindergärtnerinnen und mache die scharf. Wenn die Eltern dann meckern, sollen sie wegziehen.“

Auch im Rheinland sind solche Missionsreisen offenbar nötig. Zwar ist die rheinische Umgangsprache nicht gefährdet, aber die Dialekte sterben aus. „Bei uns wollten die Lehrer auch, dass wir Hochdeutsch sprechen“, erinnerte sich Josef Große-Allermann, Vorsitzender des Brühler Heimatbundes und begeisteter Dialektsprecher. Heute redeten die Schulkinder auf Hochdeutsch, weil sie etwas anderes gar nicht mehr verstünden. Große-Allermann: „Wir haben mal versucht, in einer Brühler Schule ein Kind zu finden, das Platt spricht. Keiner hat sich gemeldet. Nur ein junger Türke. Der sagte, seine Oma spricht das immer.“ Er resümiert: „Die Kinder kann man vergessen.“

Aber zumindest für Kölsch gibt es Hoffnung. Da nach Zehetners Beobachtungen „in Köln noch Kölner leben“, wird in den Vierteln Kölsch gepflegt. Je nach Straßenzug gibt es laut Josef Große-Allermann sogar unterschiedliche Varianten, zum Beispiel gepflegtes und ordinäres Kölsch. Wer in einem dieser Viertel wohnt, lernt Kölsch, „sogar die Neger und Türken“, wie der Brühler Dialektiker versichert.

Der schönste Satz am „Tag der rheinischen Umgangssprache“ stammte jedoch wieder vom Bayern: „Ein Dialekt ist keine Sprachbehinderung“, sagte Zehetner. Er muss im Schulalltag gefördert werden, darin sind sich die Forscher einig. Aber ohne Hochdeutsch solle auch niemand aufwachsen.

Georg Cornelissen, Sprachwissenschaftler beim Landschaftsverband Rheinland, hat ein Buch zum Thema veröffentlicht: „Rheinisches Deutsch“, Greven Verlag Köln, 7,50 Euro