Große Geschichte und einzelne Geschichten

Das Vernichtungslager nicht als universelles Symbol: Das neue historische Museum in Jad Vaschem konzentriert sich auf die jüdische Perspektive

Seit der Beerdigung des ermordeten Premierministers Jitzhak Rabin im November 1995 hat es in Israel kein vergleichbares Aufgebot so hoher Staatsgäste gegeben. Rund 2.000 Menschen aus 40 Nationen, UN-Generalsekretär Kofi Annan, Bundesaußenminister Joschka Fischer, elf Präsidenten und Premierminister, Historiker und Überlebende, wohnten am Dienstag der Einweihungszeremonie des neuen historischen Museums in der Jerusalemer Holocaust-Gedenkstätte Jad Vaschem bei. Knapp 50 Jahre nach der Eröffnung der Gedenkstätte wurde das Museum nun für rund 60 Millionen Dollar modernisiert. „Solidaritätskundgebung“, überschrieb die auflagenstärkste israelische Tageszeitung Yediot Achronot in riesigen, schwarz unterlegten Lettern ihren Vorabbericht über das Ereignis.

In der Form eines länglichen Prismas auf gut 4.000 Quadratmetern gebaut, soll das neue Museum auf „zwei Dimensionen, der informellen und der experimentellen“, dem Besucher die „Makro- und die Mikrogeschichten“ erzählen, so Estee Yaari, Sprecherin der Gedenkstätte. Die „große“ Geschichte beginnt in der Vorkriegszeit. Dokumentiert wird das jüdische Leben in Europa, etwa in Form des Wohnzimmers einer jüdischen Familie im Deutschland der 30er-Jahre. Anschließend die Jahre der Vernichtung, aus denen das Museum damals verfasste Manuskripte und Kunstwerke der Opfer zusammenstellt und die „kleine“ Geschichte von über 90 Schicksalen dokumentiert.

Der israelische Historiker Tom Segew sieht das moderne historische Museum in einer Art „Wettbewerb“ zum Holocaust Memorial Museum in Washington, was Avner Shalev, Direktor von Jad Vaschem, indes zurückwies. Michael Berenbaum, Projektdirektor des Holocaust Memorial Museum, weist dagegen auf die leicht unterschiedlichen Perspektiven der beiden Gedenkstätten hin. Während in Washington „den Danebenstehenden beträchtliche Aufmerksamkeit“ geschenkt wurde, da das letztendlich „die amerikanische Geschichte ist“, konzentriere sich das neue Museum in Jerusalem „berechtigterweise auf die Präsentation der jüdischen Perspektive“. Berenbaum erinnert, entgegen der Tatsache, dass „wir Juden überzeugt davon sind, dass die Mörder unmenschlich waren“, an den „ultimativen Skandal: Sie waren menschlich“. Deshalb müsse auch ihnen Raum geschaffen werden. Zudem müsse das Verbrechen gegen die Juden zwar im Zentrum stehen, dennoch dürfe der Kontext nicht vergessen werden, mahnt er und erinnert daran, dass die ersten Häftlinge der KZs deutsche Regimegegner waren.

„Es ist unmöglich, den Holocaust zu verstehen, ohne über die zu lernen, die am meisten betroffen waren – die Juden“, glaubt hingegen Shalev. Auch der Historiker Professor Israel Gutman, selbst Überlebender, meint, dass 60 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz das Vernichtungslager zunehmend zu einem „universalen Symbol“ werde. Die Tatsache, dass „fast alle der eine Million Menschen, die dort ermordet wurden, Juden waren, wurde praktisch vergessen“.

SUSANNE KNAUL