Die Moral der Ungläubigen

Eine Allensbach-Studie untersucht die Gesinnung von Atheisten. Gerade Ostdeutsche und Links-Wähler wollen moralisch leben, ohne dies religiös zu begründen. Sie finden sich in einem Weltbild wieder, das Toleranz und Selbstbestimmung hochhält

VON NADINE BÖS

Die Kirchen verdächtigen Atheisten gerne, unmoralisch und zu wenig wertorientiert zu sein. Fundierte Werte und Lebenseinstellungen sind aber auch in den Reihen der Ungläubigen weit verbreitet, belegt eine aktuelle Allensbach-Studie. Das Institut fand im Auftrag des Humanistischen Verbandes Deutschland (HVD) heraus, dass die moralisch orientierten Atheisten überdurchschnittlich oft in der politischen Linken und unter den Einwohnern Ostdeutschlands zu finden sind.

„Humanistisch gesinnt“ sind laut der Definition der Studie Menschen, die nicht an einen Gott glauben, gleichzeitig aber andere religiöse Lebensauffassungen achten und die ein selbstbestimmtes Leben auf der Grundlage von Moral und Ethik bejahen.

7 Prozent der 2.033 Befragten vertraten diese atheistische und zugleich wertorientierte Einstellung mit voller Überzeugung. Bemerkenswert dabei ist allerdings, dass laut Allensbach-Experte Jochen Hansen 20 Prozent der Bevölkerung überzeugte Atheisten sind. Eine humanistische Einstellung ist also offenbar nicht mit einer atheistischen identisch.

Vor allem unter denjenigen Befragten, die sich auf einer Rechts-links-Skala als politische Linke einstuften, und unter der Wählerschaft der PDS fanden sich überdurchschnittlich viele Humanisten. Mit 13 Prozent hat die Linke fast zweimal so oft eine solche Lebenseinstellung wie der Bundesdurchschnitt, unter den PDS-Wählern sind es mit 18 Prozent sogar noch mehr.

In den neuen Bundesländern fanden sich ebenfalls verhältnismäßig viele Anhänger eines „ethischen Atheismus“. Bei den Ostlern war in der Bevölkerung Mecklenburg-Vorpommerns diese Lebenseinstellung am weitesten verbreitet.

Wer sich selbst als „Meinungsführer“ einschätzte, also angab, andere gerne zu überzeugen, teilten ebenfalls überdurchschnittlich häufig humanistische Werte. Etwas seltener ermittelte die Studie die atheistisch-moralethische Lebensauffassung lediglich bei Menschen mit niedrigerer Schulbildung und bei angelernten Arbeitern.

„In puncto Toleranz und selbstverantwortliche, werteorientierte Lebensweise gibt es einen hohen gesellschaftlichen Konsens“, folgert daher Allensbach-Forscher Hansen. „Dass sich dennoch so viele Menschen nicht als Humanisten definieren, liegt ganz klar am Kriterium Atheismus.“ Über die Hälfte der Deutschen kann sich mit der Humanismus-Definition des HVD überwiegend, aber nicht vollständig anfreunden. „Wir vermuten, dass diese Menschen ähnliche moralische Grundeinstellungen haben wie Humanisten, aber gleichzeitig an einen Gott glauben“, so Hansen.

Der HVD, Auftraggeber der Studie, versteht sich als ein streng atheistischer Verband. „Auch eine agnostische, unentschiedene Haltung entspricht streng genommen nicht dem, was wir als Humanismus ansehen“, sagte Horst Groschopp, Bundesvorsitzender des Verbandes. Der Verband fordert, dass die Menschen selbst über ihr Leben bestimmen sollten. So tritt er für das Recht ein, eigenständig über Abtreibungen zu entscheiden sowie im Rahmen der Patientenverfügung über die Art und Weise des Sterbens. Wenn es um diese politischen Themen gehe, erhalte der Verband auch öfters Zustimmung von Mitgliedern religiöser Gruppen, die in den eigenen Reihen auf andere Ansichten zu diesen Themen gestoßen sind, sagte Groschopp.