Jukebox

Der Saxofonist des Atomzeitalters

Über Musik redete er in der Sprache der schwarzen Kirche: Geister. Geistige Einheit. Sein Saxofon-Ton war laut und grell, manchmal machte er den Leuten Angst. Albert Ayler träumte von Engeln, so groß wie das Empire State Building. Einen dreiteiligen grünen Lederanzug hatte er aus Europa mitgebracht, wo er Anfang der Sechzigerjahre als amerikanischer Soldat stationiert war. Passend dazu trug er eine Ray-Charles-Brille. Und einen schwarzweißen Bart. 1965 improvisierten Ayler und Co. zu Texten des einflussreichen schwarzen Kulturkritikers Amiri Baraka: „We want poems that kill, setting fire and death to whitie’s ass“, hieß es da. Die Mitmusiker des kompromisslosen Saxofonisten befürchteten, ihre Karriere zu ruinieren, so radikal war die Musik und die Aufführungspraxis damals gewesen. Baraka schrieb dazu, dass Ayler das Atomzeitalter sei, „der Explosivsound von heute“. Seine Vibratos seien rhythmische Stöße, sein Saxofon heule wie ein Geisterbeschwörer, „um den Nacken des schwarzen Mannes in Ekstase geschlungen“.

Am 25. November 1970 wurde Ayler tot aus dem East River geborgen, da war er erst 34 Jahre alt. In der New York Times schrieb Archie Shepp, Aylers Musik sei Wahrheit gewesen, „die seelenvolle Verkörperung eines kühnen, futuristischen Traums, der in einem leidenschaftlichen, unbeugsamen Sinn für Moral und Gerechtigkeit wurzelte“.

34 Jahre nach seinem Tod erschien im vergangenen Jahr eine opulente Box mit 9 CDs und einem 210 Seiten starken Leinen-Hardcover-Buch. Die Aufnahmen sind größtenteils unveröffentlicht, einzelne zirkulierten allenfalls auf obskuren Bootlegs. Ayler hat die Musik verändert, Archie Shepp, Gato Barbieri, Charles Gayle, David Murray und David S. Ware haben seinen Sound inhaliert. „Du kannst überall hingehen. Du kannst es,“ resümiert Baraka, „Ayler ist Freiheit gewesen.“

CHRISTIAN BROECKING