piwik no script img

Berliner PlatteBerlin ist doch der Nabel der Welt, schließlich haben wir den Clubber’s Guide!

„Clubber’s Guide to … Berlin“ (Ministry of Sound)

In einem viel diskutierten Artikel, der letzte Woche im Rahmen eines kleinen Pop-Specials in der Süddeutschen Zeitung zu lesen war, kam Berlin gar nicht gut weg. Popkulturell würde die Hauptstadt wider ihr eigenes Selbstverständnis gar nichts hergeben, meinte der Autor, der behauptete, schon mal in der Stadt gewesen zu sein, und ansonsten angab, sich durch Sichtung von „Polylux“-Sendungen hinreichend über Berlin informiert zu haben. Härter konnte man uns Berliner nicht treffen. Wegen der Popkultur sind wir schließlich hier, selbst unser Oberbürgermeister ist ein anerkanntes Partytier, und dann heißt es: alles bloß eine Schimäre!? Vielleicht sollten wir einen Leserbrief an die Süddeutsche Zeitung schreiben und die Dinge mal gerade rücken. Denn schließlich haben wir was, was die Münchner nicht haben. Nämlich den „Clubber’s Guide to … Berlin“. Den gibt es an jeder Tankstelle zu kaufen, und da stehen so tröstliche Sachen drin wie „Berlin, du bist so wunderbar, Berlin!“ oder „eine ganz besondere Energie ist hier zu spüren“. Das Werk besteht aus einer CD mit elektronischer Hauptstadt-Musik und einem 50-seitigen Booklet über die Berliner Szene, und selbst wenn es einen „Clubber’s Guide to … Munich“ gäbe, hätte der sicher kein 50-seitiges Booklet!Der Guide beweist uns also, dass wir doch in der richtigen Stadt leben. Das geht schon los mit dem Cover. Auf ihm ist ein Mädchen zu sehen, das am Alexanderplatz auf die U-Bahn wartet. Sie trägt Clubwear, wirkt aber viel zu ausgeschlafen, um gerade aus dem Club zu kommen. Sie könnte, wie fast jeder hier in Berlin, ein DJ sein, denn sie sitzt auf einem Plattenkoffer mit Zitty- und „Radio Fritz“-Aufklebern, obwohl klar sein dürfte, dass selbst auf dem Plattenkoffer des uncoolsten DJs der Welt niemals derartige Aufkleber zu sehen wären. Das Coverfoto macht also überhaupt keinen Sinn und ist dennoch schön, es ist so, wie sich Münchner eine ideale Berliner Clubnacht vorstellen. Außerdem macht der „Clubber’s Guide“ klar, dass Berlin der Nabel der Welt ist, denn schließlich sei der Techno hier und nicht in Detroit erfunden worden, wie man bislang immer dachte. Die Mär mit dem Techno aus Detroit haben sich bestimmt ein paar Nicht-Berliner ausgedacht. Dass auf der CD zwischen all den Berlinern, zwischen Spitzenacts wie Martini Brös, Westbam und Alexander Kowalski, die Nummer von Superpitcher eigentlich nichts zu suchen hat, weil Superpitcher aus Köln kommt, sollte uns auch nicht weiter stören, schließlich heißt sie „Happiness“, und wo sonst als in Berlin ist die echte Happiness zu Hause? Was uns allerdings ein wenig verwirrt, ist das Foto auf der Rückseite des Booklets. Der Plattenkoffer mit den komischen Aufklebern steht dort jetzt vergessen am Bahnsteig herum, das Mädchen scheint die U-Bahn nach Hause genommen zu haben. Schluss mit Party-Hopping, dabei zeigt die Uhr erst fünf Minuten nach zwei an. Doch wahrscheinlich hatte das Mädchen bloß keinen Guide zur Hand oder war aus München.ANDREAS HARTMANN

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen