„Wat? Lehra woll’n Se sein?“

Schwierige Einreise nach Myanmar. Ein Visa-Skandal auf burmesisch

Einst, so wusste Hans Zippert in der ersten Ausgabe des legendären Bielefelder Dreck-Magazins, reiste man von Birma nach Burma im Koma. Heute heißt das Land Myanmar, ist eine kleine, bescheidene Militärdiktatur und erfordert beim Bereisen ganz besondere Geistesgegenwart.

Schon bei den Reisevorbereitungen sollte man höllisch aufpassen. Im heiligen Buch der Individualreisenden, dem „Lonely Planet“, steht geschrieben: „Myanmars Botschaften und Konsulate prüfen sorgfältig den Hintergrund eines jeden, der sich um ein Touristenvisum bewirbt. Speziell Schriftsteller und Journalisten haben es bei der Visavergabe schwer. Geben Sie am besten einen anderen Beruf an.“ Ich schreibe also nicht Literaturnobelpreisträger in spe ins myanmarische Visums-Antragsformular, sondern den Beruf, den ich am stärksten verabscheue, den man mir aber meines Äußeren wegen eher zutraut als Eisenbieger oder Traktorist: „Lehrer“.

Im Reisebüro in Singapur studiert der Angestellte kurz meine Angaben und sagt dann ohne aufzublicken: „Schule!“ – „Wie bitte?“ – „Sie haben die Schule vergessen, an der sie unterrichten.“ Ach du Scheiße. Jetzt bloß nicht zu lange überlegen. Genau, ich hab’s: „ ‚Staufenberg-Schule, Berlin‘. Hier bitte!“ Es muss schließlich irgendwo in Berlin eine Stauffenberg-Schule stehen. In jeder zweiten deutschen Großstadt gibt es eine Schule, die nach dem Mann mit den explosiven Akten heißt. Außerdem: Setze ich mit dem Namen Stauffenbergs nicht ein subtiles Zeichen, dass ich die Praktiken der Militärregierung Myanmars missbillige? Ich bin sehr stolz auf meine Geistesgegenwart und Wahl.

Kaum zu Hause kommen mir Bedenken. Vielleicht werden mich die Grenzer bei der Einreise nach Details fragen. Zur Sicherheit google ich noch mal. Tatsächlich. Da ist die Schule – in Berlin-Lichtenberg. Eine Oberschule sogar. Wie schön: Ich bin also Studienrat. Die ganze Sache hat nur einen Haken: Die Stauffenberg-Schule heißt nicht mehr so, denn sie ist vor Jahren in der Barnim-Oberschule aufgegangen. Egal. Wer weiß das schon in Burma, pardon, Myanmar?

Nach einer Woche kommt das Visum von der Botschaft. Ohne nachzufragen, gewährt man mir die üblichen 30 Tage. Na also. Bester Laune fliege ich nach Yangon. Auf dem Flughafen dann der Schock. Der Grenzbeamte sieht gar nicht burmesisch aus, sondern erinnert stark an Harald Juhnke. Und dann berlinert er auch noch: „Ausweis, abba en bisschen dalli!“ Ich schiebe ihm meinen Pass rüber, in den die Botschaft meinen Visumsantrag reingetackert hat. „So, Pauka woll’n Se sein. Staufenberg-Schule, wa? Wo liegt die Penne denn? Kreuzberg? Treptow? Spandau?“ – „Lichtenberg!“ – „Is vor zwei Jahren in der Barnim-Oberschule uffjejangn. Abba ma wat janz anderes: Sie schreim hier Stauffenberg mit einem ‚f‘. Lehra woll’n Se sein? Und könn noch nich ma den Namen von Ihra Schule richtich schreim. Männeken, Sie komm jezze erst ma mit.“ Der kurze Prozess vorm obersten myanmarischen Militärgerichtshof zwei Tage später ist hart und ungerecht. Das Urteil wird nach fünf Minuten verkündet: Tod durch Erschießen. Aber vorher muss ich tausend Mal: „Graf Claus Philipp Maria Schenk von Stauffenberg“ schreiben. Beim 343. Mal beginnen meine Fingerkuppen zu bluten. Beim 567. Mal schreibe ich aus Versehen „Klaus“. Beim 784. „Stauffenberg“ wache ich endlich schweißgebadet auf.

Am nächsten Morgen fliege ich wirklich nach Yangon. An der Kontrolle auf dem Mingaladon-Flughafen begrüßt mich eine niedliche Burmesin. Während sie das Visum abstempelt, lächelt sie sehr süß, und ich darf bei der ganzen Prozedur sogar rauchen. Puh, das ging noch mal gut. Trotzdem hier mein dringender Appell: Die Berliner Schulbehörden müssen endlich aufhören, das Leben unschuldiger Deutscher in Myanmar zu riskieren. Berlin braucht wieder eine Stauffenberg-Schule. Sofort!

WALTER MYNA