Wann gibt’s das Huhn?

VON DOMINIC JOHNSON

Wenn man den Staatschef von Nigeria nach Tony Blair fragt, denkt er an Hühnchen. Olusegun Obasanjo, Präsident des bevölkerungsreichsten Landes in Afrika und nebenbei Besitzer einer Hühnerfarm, lobte am Donnerstag in Berlin die grandiosen Afrika-Reformpläne des britischen Premierministers so: „Das ist, wie wenn der Küchenchef sich vor seine Gäste hinstellt und ihnen das Schmorhuhn beschreibt, das er gerade zubereitet. Uns läuft das Wasser im Mund zusammen. Aber dann muss auch das Essen auf den Tisch kommen.“

Afrika ist für Tony Blair Thema Nummer eins bei seiner diesjährigen G-8-Präsidentschaft. Beim G-8-Gipfel im schottischen Gleneagles im Juli sollen die acht wichtigsten Industrienationen der Welt einen beispiellosen Plan für Afrika verabschieden, um Afrikas Armut zu beseitigen. Die Vorlage hat eine „Commission for Africa“ erarbeitet. Ihr 450 Seiten starker Bericht wurde Ende letzter Woche veröffentlicht (www.commissionforafrica.org; siehe Kasten).

Damit setzte sich Blair an die Spitze der weltweit wachsenden Sorge darum, dass die immer stärkere Abkopplung Afrikas von den ökonomischen Fortschritten im Rest der Welt ein Sicherheitsrisiko und auch ein menschlicher Skandal ist. Die Vereinten Nationen, die im Jahr 2000 eine Reihe von „Millenniumszielen“ zur Halbierung der weltweiten Armut bis 2015 beschlossen hatten, ziehen dieses Jahr ebenfalls kritische Bilanz. Der zuständige UN-Sonderbeauftragte Jeffrey Sachs legte im Januar einen eigenen Bericht vor, dessen Kernpunkte im Wesentlichen mit denen der Blair-Kommission übereinstimmen. Beim diesjährigen Weltwirtschaftsforum in Davos waren Afrika und Armut Topthemen. Im Jahr 2005, so lautet einer der Gemeinplätze internationaler Tischreden heutzutage, entscheidet sich, ob die globalisierte Weltgemeinschaft den Krisenkontinent Afrika endlich integriert oder weiter marginalisiert.

Blairs Afrika-Kommission arbeitete nach dem Prinzip, mit dem der Brite schon die Politik des eigenen Landes umkrempelte: Die bisher geleisteten kleinen Schritte waren zu anstrengend, also machen wir einen großen. Verdoppelung der Entwicklungshilfe bis 2015? Die Kommission verlangt eine Verdreifachung. Ausweitung der Programme zur Erleichterung der Schuldenlast armer Länder? Die Kommission verlangt eine komplette Schuldenstreichung.

Inspirator dafür war der Sänger Bob Geldof, der vor 20 Jahren das Projekt „Band Aid“ zur bis dahin größten Hungerhilfsaktion der Weltgeschichte in Äthiopien ins Leben rief. Aber die Kommission war kein Showbusiness. Es saßen afrikanische Präsidenten und Experten darin, und ihre detaillierten Analysen gehören zum besten und mitreißendsten, was zur Krise Afrikas in jüngster Zeit verfasst worden ist.

Aber die anderen G-8-Staaten fühlen sich gar nicht mitgerissen. Widerstand kommt paradoxerweise gerade von jenen, die sich vorher schon im G-8-Rahmen für Afrika eingesetzt haben. Schließlich verabschiedete die illustre Runde erst 2002 im kanadischen Kananaskis einen „Aktionsplan für Afrika“, der Unterstützung für den von afrikanischen Regierungen erarbeiteten Entwicklungsplan „Nepad“ (Neue Partnerschaft für die Entwicklung Afrikas) zusagte. Die Initiatoren davon – unter anderem Deutschland mit seiner Afrika-Beauftragten Uschi Eid – sehen nun in Blairs Aktivitäten eine unwillkommene und abzuwehrende Konkurrenz.

Doch schon 2002 wurde der Aktionsplan von Hilfswerken als „vertane Gelegenheit“ kritisiert. Nach den Früchten des Plans gefragt, fällt der Deutschen Eid die Gründung der Afrikanischen Union (AU) samt ihren Sicherheitsorganen ein – eine Leistung gewiss, aber nicht unbedingt eine der G 8.

Die Schwäche des Aktionsplans war das Fehlen verbindlicher Finanzzusagen und Zeitpläne. In diese Lücke stößt nun Tony Blair. Aber genau dieser Wunsch nach Verbindlichkeit dürfte zum Problem werden. Die USA sperren sich gegen jede internationale Festlegung für ihre Entwicklungshilfe. Frankreich und Deutschland bringen sich lieber mit eigenwilligen und kaum durchsetzbaren Vorschlägen für neue Finanzquellen ins Gespräch – Tobin-Steuer, Flugbenzinsteuer –, als ihre bestehenden Hilfsgelder umwidmen zu wollen.

So ist die Skepsis Obasanjos gerechtfertigt. Wie viele afrikanischen Politiker findet er das Blair-Papier inhaltlich wunderbar, zweifelt aber an der Durchsetzungsfähigkeit. „Die britische Regierung wird um diesen Bericht herum einen Konsens bauen müssen“, warnt er. „Diejenigen von uns in Afrika, die an diesen Bericht glauben, müssen ihr dabei helfen. Wir leben in einem globalen Dorf, und wenn jemand denkt, Afrikas Armut gehe ihn nichts an, sage ich: Armut in Nigeria hat eine verheerende Auswirkung auf Nigeria, und sie könnte eine verheerende Auswirkung auf den Rest der Welt haben.“

Die Diskussion in Afrika um Blairs Vorschläge folgt einem einfachen Muster: Wer Macht hat, ist begeistert; wer seinen Regierungen nicht traut, ist skeptisch. Denn an einem haben die Afrika-Diskussionen des Jahres 2005 nichts geändert: Die massiv erhöhte Hilfe wird immer an die Regierungen verteilt. Die unmittelbare Reaktion vieler afrikanischer Intellektueller auf die Forderung nach verdoppelter Entwicklungshilfe ist: Wisst ihr nicht, wem ihr damit helft? Habt ihr vergessen, wer bei uns alles regiert? Manche wittern einen Rückfall in alte Zeiten, als unkritisch Diktatoren beim Aufbau irrealer Großprojekte unterstützt wurden. Aber auch gewählte Regierungen können Unsinn machen, und wer denkt, mit Geld allein ließe sich Afrika über Nacht umkrempeln, wird schnell enttäuscht werden.

„In Afrika ist es so: Wenn ein Verwandter des Präsidenten eine Milliarde Schmiergelder kassiert, wird er zum Investor des Jahres ernannt. Wenn ein Armer ein Ei stiehlt, wird er gelyncht“, schrieb diese Woche Ostafrikas bissigster Publizist, der Ugander Charles Onyango-Obbo. „Wenn die Freunde des Herrschers das Gesundheitsbudget eingesteckt haben und das Volk an Malaria stirbt, soll der Rest der Welt Geld sammeln, um Moskitonetze und Chloroquin zu kaufen. Aber wenn das Volk wieder gesund ist und der Präsident die Armee losschickt, um das zu tun, was Moskitos nicht können – Leute umbringen, weil sie seinen Gegner unterstützen –, soll sich die Welt raushalten.“