Schätze für die Macht

Das Bild der Frau im Mittelalter soll radikal verändert werden. Zwei parallele Ausstellungen in Essen und Bonn dokumentieren über 700 Jahre Kunst und Politik in und aus Frauenklöstern

VON CORNELIA GÜRTLER

Nach ihrer Zeit als Novizinnen bekamen die Mädchen einen Schleier. Da waren sie etwa 16 Jahre jung. Viele wurden bereits mit sieben Jahren von ihren Familien einem Frauen-Konvent übergeben. Oft kam dann noch eine rituelle Krönung als Braut Christi hinzu. Die goldene Braut-Krone ist ein Symbol für Macht. Welche Macht soll eine arme Nonne gehabt haben, die abgeschlossen hinter Klostermauern beten und arbeiten musste? Diese Frage beantwortet „Krone und Schleier“, eine gemeinsame Ausstellung des Essener Ruhrlandmuseums und der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn. Sie wurde am Wochenende eröffnet.

„Der Himmel im Mittelalter hing zwar tief, aber er war nicht dunkel für Klosterfrauen“, sagte Wenzel Jacob, Intendant der Bonner Ausstellungshalle. Zum ersten Mal wird umfassend vermittelt, wie abendländische Kultur auf der Basis des Christentums in und von Frauenkonventen entwickelt, entworfen, bestellt, gelehrt, finanziert und fabriziert wurde. Zu sehen sind 600 kostbare Einzelstücke aus Klöstern und Stiften: Möbel, Werkzeuge, Urkunden und Kunst von lateinkundigen und schriftgelehrten, von komponierenden Nonnen, von künstlerisch Schaffenden und von verwaltenden Äbtissinnen, die Schätze horteten und stifteten, was das Zeug hielt, um die Macht und Ausstrahlung ihres Konventes zu steigern.

Die Neubewertung der Kunst aus Frauenklöstern, die seit etwa zwei Jahrzehnten im Gange ist, hat zu dieser Ausstellung geführt. Innerhalb der Kloster-Regeln lernten Frauen Lesen und Schreiben. Damit war die Basis gelegt, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, denn Nonnen und Stiftsdamen konnten ihre Begabungen entwickeln. Für den Kunstgeschichtler Robert Suckale bot die Kirche Frauen im Mittelalter mehr Möglichkeiten, religiösen Einfluss zu nehmen und Macht auszuüben als heute.

Die Essener Ausstellung behandelt das frühe und hohe Mittelalter bis zum 12. Jahrhundert, auch mit bedeutenden Werken der berühmten Hildegard von Bingen, denn im Rheinland und in Westfalen wurden in dieser Zeit hunderte Frauenkonvente gegründet. Auch die Stadt Essen, die sich jetzt stellvertretend für das Ruhrgebiet als Europäische Kulturhauptstadt bewirbt, ist seit dem 10. Jahrhundert aus einem der mächtigsten und reichsten Frauenstifte entstanden ist. Dies führen die ausgestellten Kostbarkeiten des Essener Domschatzes eindrucksvoll vor.

Die Schatzkammern mancher Damen-Stifte waren so reich, dass sie herrschaftlichen Charakter hatten. Die AusstellungsmacherInnen gehen noch weiter: Eine eigene und spezifische Ästhetik hätten Frauenkonvente entwickelt in der Bildsprache, in Liedern und in der Literatur. Dies ist allerdings besser in Bonn zu sehen, wo Ordens-Kunst von Dominikanerinnen, Zisterzienserinnen und Klarissen (1100 bis ca. 1600) präsentiert wird. Dort kann man einen Jesus betachten, der eine Nonne entkleidet, um sie zu umarmen. Damit will die Künstlerin verdeutlichen, wie frau ihren Bezug zur Welt loslassen muss, um die nackte Seele Jesus ganz zu öffnen.

Als Essener Highlight ist eine dramatische Darstellung von Pfeil und Bogen schießenden Teufeln zu bewundern, die Kleriker und Mönche vom Erklimmen der Himmelsleiter abhalten – sie plumpsen kopfüber hinunter, während es eine Nonne bis oben schafft und die Corona Vitae, die Lebenskrone, als Preis für ihre Bemühungen im Diesseits erhält. Möglich machte auch diese drei Millionen Euro teure Schau erst die kunststiftung nrw. Nicht weniger als das Bild der Frau im Mittelalter soll damit verändert werden, so Ausstellungsmacher Jan Gerchow.

Bis 3. JuliInfos: 0228-91710