Reifen mit der Raute auf der Brust

Der Fall Rene Klingbeil: Hamburg wartet mit dem „Tschüß“-Sagen und gibt dem Nachwuchs eine Chance

In Hamburg sagt man bekanntlich „Tschüß“ – in der AOL-Arena bisher besonders schnell und gern zu Nachwuchsspielern, die ihren Reifeprozess doch bitte schön nicht mit der HSV-Raute auf der Brust absolvieren sollen. Dieselben Fans klagen dann natürlich, wenn ein Ehemaliger wie Fabian Ernst im Trikot des Auswärtsteams an alter Wirkungsstätte auftrumpft , wie man denn „so einen“ habe ziehen lassen können.

Doch möglicherweise ändert sich da gerade was. Lächelnd preist HSV-Sportchef Dietmar Beiersdorfer Rene Klingbeil, 23, als Beispiel für die „Durchlässigkeit vom Amateur- zum Profi-Bereich“. Der Außenverteidiger selbst sagt, er fühle sich „im Stadion vor all den Menschen pudelwohl“. Tatsächlich ist das Murren im Rund leiser geworden, wenn sich Klingbeil über die Mittellinie wagt und mal wieder nicht weiß wohin, mit sich und dem Ball und dem Raum, der sich da manchmal einfach nicht auftun will.

Da ist Geduld gefragt. Gegen Dortmund gab es erstaunlicherweise nur vereinzelt Pfiffe, als ihm in der 25. Minute eine Flanke misslang. So kann Selbstvertrauen wachsen, etwa für den Sohlen-Trick, mit dem er sich eine halbe Spielstunde später nach einem engen Zuspiel von Torwart Wächter spielerisch nach vorn befreien konnte.

Dabei ist klar: Gehobenen, sprich internationalen Aufgaben ist Rene Klingbeil (noch) nicht gewachsen. Da mögen seine Zweikampfwerte, wie gegen Dortmund, noch so oft die besten sein (73 Prozent gewonnen). Vor allem in der Ballan- und -mitnahme lässt er jene Sekunden verblitzen, die zwischen Durchschnittsprofi und Klassespieler entscheiden. Aber 23 ist auch kein Alter. Alles eine Frage der Geduld. Jörg Feyer