Die Verfolger

Der deutsche Handballmeister SG Flensburg-Handewitt jagt Tabellenführer Kiel, der HSV bleibt auf der Strecke

Immer wieder brüllt er der kreischenden Menge in der Flensburger Campushalle Schlachtrufe durch das Megaphon entgegen. Finn, der Schiffsbauer, wird zwei Tage brauchen, bis er wieder normal reden kann. Nach 60 Minuten Jubelgesängen und Bier klingt seine Stimme wie ein Reibeisen. „Das war doch kein Gegner“, krächzt er nach dem 36:28 seiner SG Flensburg-Handewitt gegen den HSV am Samstag. Finn ist einer von sechzig „No Name Boys – Ultras Flensburg“. Bei jedem Heimspiel feuern sie vom Stehblock das Team von Trainer Kent-Harry Andersson an. „Die Fans machen den Unterschied“, sagt er noch, dann kommt die Siegeswelle mit der Mannschaft.

Noch eine Stunde nach dem Spiel stehen die Ultras in der Halle und feiern. Manager Thorsten Storm schüttelt kräftig Hände. Man kennt sich in Flensburg. Thorsten Storm verstaut seine Glücksbringer – zwei Steine und zwei Pfennige – in seiner Brieftasche und lächelt. „Den Unterschied zwischen Flensburg und anderen Vereinen macht die Einheit aus“, sagt Storm. „Die Spieler unternehmen auch privat sehr viel miteinander. Wenn es bei uns mal nicht klappt, dann klappt es kollektiv nicht.“

Nur einmal in dieser Saison hat dieses Kollektiv versagt. Das Hinspiel im Viertelfinale der Champions League in Montpellier verlor der amtierende deutsche Meister mit 22:36. „Wir hatten die Spiele vorher alle mit einem oder auch zwei Toren gewonnen. Da gewöhnt man sich dran. Dann haben die anderen dagegengehalten, und es ging richtig in die Hose“, versucht Manager Storm die Pleite zu erklären.

Am Sonntag vor einer Woche dann das Rückspiel. Sie glaubten nicht an ein Wunder. Schließlich hätte Flensburg mit 15 Toren gewinnen müssen um ins Halbfinale einzuziehen. Doch als Manager muss man an das Wunder glauben. Thorsten Storm glaubte ab Mitte der Woche. Trainer Andersson träumte in der Nacht vor dem Spiel vom Sieg. Und die Spieler hielten das Unmögliche ab der Halbzeit für möglich. Doch dann, in der letzten Sekunde, war da dieser Freiwurf zum 32:19. Montpellier war im Halbfinale. Manchmal hilft auch der Glaube nichts.

Drei Tage später die schmerzhafte Niederlage beim TV Großwallstatt und der Sturz von Platz eins: Seit Mittwoch führt der Erzrivale aus Kiel wieder die Tabelle an.

Keine gute Woche für Flensburg. Und keine gute Woche für den deutschen Handball. Alle deutschen Mannschaften sind aus den internationalen Wettbewerben draußen. Und das soll die stärkste Liga der Welt sein? „Das ist sie“, sagt Storm. Mannschaften wie Barcelona oder Ciudad Real könnten sich in vielen Ligaspielen einfach ausruhen – weil es dort nicht so viele Top-Mannschaften gebe.

Flensburg konzentriert sich jetzt auf die Pokalrunde der letzten Vier in Hamburg und auf die Meisterschaft. „Nach der Niederlage in Großwallstadt“, sagt Thorsten Storm, „sind wir nicht mehr der Gejagte – wir sind jetzt der Jäger.“ Christina Stefanescu