„Wohnungsnotprobleme werden völlig unterschätzt“

Bremer Sozialforscher warnt: Bei drohendem Wohnungsverlust muss man schnell reagieren. Geteilte Zuständigkeiten in Bremen erschweren dies. Von anderen Ländern könne man lernen, welche Vorteile unabhängige Beratungsstellen bringen – die Bremen aber schließen will

taz: Herr Busch-Geertsema, als Sozialforscher haben Sie belegt, dass 86 Prozent der Wohnungs-Notfälle bislang wegen Geldnot, also Mietrückstand auflaufen. Was heißt das für die Zukunft?

Volker Busch-Geertsema: Die Wohnungs-Notproblematik, die mit Hartz IV einhergeht, wird zurzeit noch völlig unterschätzt. Die kommunal finanzierten Unterkunftskosten für Arme werden künftig den Platz einnehmen, den bisher Sozialhilfekosten hatten. Der Bund wird die Kommunen auffordern, wohnungspolitisch zu handeln, aber gleichzeitig werden die Instrumente immer weniger: Es gibt weniger Sozialwohnungen und die kommunalen Anteile an Wohnungsbaugesellschaften werden verkauft. Aktuelle Übergangsregelungen mildern das Problem nur kurz. Spätestens, wenn der Rechnungshof die Unterkunftskosten der Städte prüft, kocht es hoch. Grundsätzlich wird es zwei Effekte geben: Wegen der geringeren Einkommen nehmen Mietschulden zu, und der Druck auf billigere Wohnbestände wächst.

Was heißt das für Bremen?Einkommens-Arme werden sich zwangsläufig in bestimmten Stadtteilen konzentrieren. Das sind zurzeit schon die Grohner Düne, Lüssum, Teile Gröpelingens, Huchtings, Kattenturms, Gebiete in der Vahr, in Hemelingen – und Tenever. Da aber werden Wohnungen gerade so aufgewertet, dass sie über den Angemessenheitsgrenzen liegen.

Was ist gegen eine solche Entwicklung zu tun? Man könnte dagegen auf kommunaler Ebene angehen, indem man dort, wo die Mieten höher liegen und mehr Wohlhabende wohnen, höhere Obergrenzen gelten lässt. Das ist im Rahmen von Ermessen möglich, aber in den Verwaltungsanweisungen der Stadt gibt es dazu keine klaren Vorgaben.

Sind Betroffene gut beraten, schon jetzt umzuziehen – der Wettlauf um die billigen Wohnungen beginnt doch erst? Das könnte man so sehen. Allerdings muss die Behörde für den Umzug nur zahlen, wenn sie dazu aufgefordert hat. Sonst ist die Kostenübernahme für den Umzug eine Kann-Leistung. In der Deputation hieß es aber, dass niemand im ersten Halbjahr zum Wohnungswechsel aufgefordert würde. Insofern wären Aufforderungen jetzt verwunderlich. Mir liegen Erhebungen aus einer gleich großen Stadt wie Bremen vor, wo sechs Prozent der Alg II-Bedarfsgemeinschaften umziehen müssen. Auf Bremen übertragen wären das deutlich mehr als 2.000 Haushalte.

Sie haben erforscht, dass Wohnungslosigkeit am besten verhindert wird, wenn man Betroffenen früh hilft. Ist das in Bremen gewährleistet? Es gibt Bemühungen, Prävention weiter zu stärken. Das ist gut. Aber das größte Problem ist, dass die Zuständigkeit für Mietschuldenübernahmen, die bisher beim AfSD konzentriert war, jetzt auf zwei Stellen verteilt ist: Auf die Bagis und die Wohnungshilfe des traditionellen Sozialamts. Das führt zwangsläufig zu Zeitverzögerungen. Bei drohendem Wohnungsverlust muss man aber schnell reagieren. Die Zuständigkeit für soziale Hilfen sollte direkt beim Amt für Soziale Dienste verbleiben wie in vielen anderer Städten auch und nicht auf die Bagis übertragen werden, was nur zu Streitgkeiten darüber führt, wer für wen Hilfe zu leisten hat.

An allen Ecken wird gespart: Die Kürzungsmöglichkeiten beim Alg II sind sehr weitreichend, Beratungseinrichtungen sollen geschlossen werden. Was bedeutet das? Die 30-prozentigen Kürzungsmöglichkeiten sind heute tatsächlich rigider. Auch bei Wohlverhalten gelten sie drei Monate und können im Wiederholungsfall ausdrücklich auch die Wohnkosten betreffen. Ein großes Problem ist, dass der Fortbestand der unabhängigen Erwerbslosenberatung in Frage steht. In anderen europäischen Ländern, wo der Bund die Hauptkosten der Mindestsicherung zahlt so wie jetzt in Deutschland, handelt man genau anders herum: Da gibt es regelrechte Kampagnen, um Rechtsansprüche durchzusetzen. Kommunen zahlen für Beratung, weil damit Geld in die Stadt geholt wird. Der Bremer Senat wäre auch im eigenen finanziellen Interesse gut beraten, diese Einrichtungen zu erhalten.

Auch Schuldnerberatung ist bei der Bagis künftig eine Kann-Leistung.Das ist hoch problematisch. Wer von Wohnungsverlust bedroht ist, ist in der Regel zugleich überschuldet. Das droht umso mehr, als Leistungsansprüche zurzeit so stark beschnitten werden. Anders als Bremen stärkt Hamburg deswegen die Schuldnerberatungen.

Wie reagieren Betroffene? Manche von ihnen sind schon umgezogen. Das nimmt zu. Gleichzeitig lösen viele ihre so genannten Bedarfsgemeinschaften auf – um nicht für einander aufkommen zu müssen, wenn es die Beziehung nicht hergibt. Das führt zu enormen Konflikten.

Was geschieht denen, die einfach keine Wohnung finden?Ob es vermehrt zu Wohnungslosigkeit kommt, hängt davon ab, wie präventive Hilfe organisiert wird.

Was machen andere Kommunen besser als Bremen?Es gibt Städte, die zehn bis 15 Prozent Überschreitung der Mietkosten für zulässig halten – denn Umzüge kosten ja auch Geld. Magdeburg regelt das so. Andere bilden präventive Fachstellen, denen alle gesetzlichen Zuständigkeiten zugeordnet sind. Das ist optimal. Fragen: Eva Rhode