taz muss weg!

„Zug 76“ tazt Kreuzberg. Ein Exklusivbericht aus dem Epizentrum der Sanierer und Quadratschädel. Wir bitten alle Leser, einzusteigen

VON VERENA MÖRATH

Die Weichen richtig stellen, Dampf machen und ankommen: So machte es die Projektgruppe Zug 76, eine Handvoll Studierender der Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Universität der Künste Berlin (UdK). Weil die Mitglieder der Gruppe aus Bulgarien, der Ukraine und aus Deutschland kommen, bulgarisch-französische oder polnische Wurzeln haben, tauften sie ihr Team Zug 76: einstmals eine eine Bahnverbindung von der Ostsee quer durch das östliche Europa bis nach Bulgarien. Jetzt fährt Zug 76 gemeinsam mit der taz durch Kreuzberg.

Im Rahmen ihres Pflicht-Kommunikationsprojekts hieß es für das Team, eine Kampagne zu entwickeln und zu realisieren. Warum nicht für die taz? Ihre professionelle Bewerbungsmappe überzeugte sowohl die Redaktion, als auch Werbeleitung und Geschäftsführung. Außerdem war noch ein Zufall mit im Spiel, damit es im vergangenen Sommer zu einer mehrmonatigen Zusammenarbeit zwischen taz und Zug 76 kam: Zeitungsintern hegte man schon lange den Wunsch, ganz gezielt in Kreuzberg die Abonnentenzahlen zu erhöhen. Seit 10. März und noch bis Ende April läuft die Aktion „I taz Kreuzberg“. Geworben wird in Printmedien mit Anzeigen, im Kiez mit Plakaten, Postkarten und Kneipen-Flyern sowie mit einem Kino-Spot. Darüber hinaus hat Zug 76 eine neuartige Prämie für Kreuzberger Jahresabonnenten entwickelt: die „taz-Karte“, mit der man kultiviert im Kiez konsumieren kann. Konkret heißt das: Inhaber der taz-Karte sind für ein Jahr Mitglied des Biomarkts LPG am Mehringdamm und können dort billiger einkaufen, bezahlen beim Hebbeltheater am Ufer (HAU) für die Karte nur den günstigen Abo-Preis und bekommen jeden Tag verbilligte Karten im Programmkino fsk. Diese Kooperationen haben auch den Effekt, dass lokale Kulturakteure und im Kiez ansässiges Gewerbe gestärkt werden.

Die Idee „I taz Kreuzberg“ in Anlehnung an „I love NY“ entstand erst nach wochenlangem Ringen, so die Zug 76er: „Insgesamt steckt ein halbes Jahr harte Arbeit dahinter.“ So viel Zeit für die Planung einer Kommunikationskampagne investiert sonst im harten Alltagsgeschäft keine Werbeagentur. Die studentische Projektgruppe musste sich viel Zeit nehmen und erst einmal intensive Grundlagenforschung betreiben, die von ihren UdK-Professoren kritisch begleitet wurde. Denn Studenten müssen beweisen, dass sie das wissenschaftliche Arbeiten beherrschen und nicht nur schlaue Sprüche klopfen können. Um die im taz-Briefing zur Kampagne gestellten Aufgaben zu erfüllen, machte sich also Zug 76 daran, Daten zu erheben und auszuwerten: Wer liest die taz? Wie wird die taz von Lesern und Nicht-Lesern wahrgenommen und bewertet? Welche Vorurteile gibt es gegenüber der taz und wie können sie überwunden werden? Wo ist die taz stark, wo schwach, welche Chancen hat sie? Und dies in Berlin und speziell in Kreuzberg. Außerdem befragten die Studenten auch die taz-Macher, um herauszufinden, wie sie selbst ihr Blatt einschätzen und ob Selbst- und Außenwahrnehmung übereinstimmen. Nicht weniger als 150 Seiten umfasst die Darstellung der Ergebnisse. Eine wichtige Basis, um dann die konkreten Strategien für die Image- und Abo-Kampagne „I taz Kreuzberg“ auszuarbeiten. Denn nur mittels dieser Untersuchung konnte die potenzielle Zielgruppe der Neu-Abonnenten identifiziert werden: ihr Alter, ihre Werte und Lebenseinstellungen, ihre Erwartungen an und ihre Identifikation mit der taz und mit Kreuzberg.

Klar ist, dass bei der Altersgruppe der über 40-Jährigen in Kreuzberg das Potenzial an Lesern und Abonnenten ausgeschöpft ist, fanden die Studenten heraus. Und so heißen die für die taz zukunftsträchtigen Kreuzbergern bei Zug 76: Konformisten des Andersseins (KdA), angelehnt an den gleichnamigen Buchtitel des Medienwissenschaftlers Norbert Bolz. Er und Sie sind zwischen 20 und 39 Jahre alt, hoch qualifiziert, als Freiberufler, Selbstständige, Beamte oder Angestellte tätig und verdienen 2.000 bis 2.500 Euro monatlich, als Studenten verfügen sie über rund 1.000 Euro. KdA positionieren sich eher links, interessieren sich für Themen wie Diskriminierung, Sozialstaat, Ökologie und Bildung. Im Gegensatz zur 68er Generation setzt diese jüngere Gruppe jedoch höhere Priorität auf Sicherheit und Leistungsbereitschaft. Sie denken global und haben Spaß an intellektueller Herausforderung und intelligenter Provokation. Von diesen jungen Zeitungsnutzern wird die taz als „gute, alte, etwas schräge Tante“ empfunden, heißt es weiter. Gleichzeitig wird das Blatt aber auch mit positiven Attributen wie überraschend, experimentierfreudig, kritisch und frech beschrieben. Also: Es besteht Hoffnung, „wenn die Gratwanderung gelingt, alte Stammleser nicht zu vergraulen, aber eine jüngere Leserschaft zu gewinnen“, bilanzieren die Projektstudenten.

Nach der Analyse hieß es in in Phase eins der Kampagne, den Kiez ein wenig aufzumischen und in die Schlagzeilen zu bringen – Guerilla-Marketing nennen Werber das. Ein Thema erst skandalisieren, um es zu aktualisieren und eine große Medienresonanz zu bekommen. Die Jungs von der UdK tarnten sich mit Hornbrillen als das Künstlerkombinat „Die Sanierer“ und ironisierten mit Einzelaktionen genau jene Werte, die für Kreuzberg und für die taz stehen: Multikulturell, offen, progressiv und Laissez-faire. „Die Sanierer“ alias Zug 76er zogen als Kiezmiliz durch den winterlichen Görlitzer Park und riefen dazu auf, Hundedreck und Unrat zu beseitigen – der unter der Schneedecke verborgen war. In einem zweiten Feldzug verteilten sie rohe Bratwürste und forderten eine Bratwurstquote von 40 Prozent im Kiez und sprachen von Lebensqualität statt Multikulti. Prompt reagierte die Berliner Zeitung und sah hier die NPD sprechen. „Ein Gruppe Autonomer hat uns fast verprügelt“, erinnert sich Carsten Holle. Später gingen sie daran Strafzettel für Fahrräder zu verteilen, die nicht an Fahrradständern angeschlossen waren, sie plakatierten Anti-Hunde-Poster, gaben Handzettel und Aufkleber heraus und legten Postkarten in Kneipen aus – und warteten genüsslich auf die empörten Reaktionen, die via E-Mail an die Website www.kreuzberg-sanierer.de geschickt wurden. Fazit: Die Kreuzberger wollen ihren Kiez nicht anders als er ist, und das gaben sie den Sanierern deutlich zu verstehen. Im Übrigen wurde auch die taz nicht verschont: „taz muss weg“-Poster hingen ebenfalls im Kiez.

Seit Mitte März ist die Kampagne auch mit einem Spot im Kino vertreten. Zug 76 schrieb das Drehbuch, drehte und schnitt den Trailer selbst. Nun werden die Kreuzberger in zahlreichen Kinos darüber aufgeklärt, was passiert, wenn eben zu wenig taz gelesen wird: Menschen mit grauen Betonköpfen, die graue, langweilige Zeitungen kaufen, erobern den Alltag. Das Foto auf dieser Seite ist dem Spot entnommen. Und jetzt mal ganz ehrlich: Solche Kreuzberger wollen wir doch wirklich nicht haben?! Aber es geht ja auch anders: We taz Kreuzberg!

Kontakt: zug76@gmx.de