Mit dem Seesicherheitsgesetz wird die Bundeswehr zu sehr Polizei
: Anti-Terror auf Vorrat

Das im Haus von Otto Schily vorbereitete Seesicherheitsgesetz ist nicht ganz so spektakulär wie das jüngst beschlossene Luftsicherheitsgesetz. Dort wurde der Abschuss eines entführten Passagierflugzeuges erlaubt, wenn damit etwa ein Terrorangriff auf ein Atomkraftwerk verhindert werden kann. Ganz so dramatisch ist die Lage auf See wohl nicht. Ein entführtes Kreuzfahrtschiff ist zu langsam für überfallartige Terrorangriffe. Und ein mit Sprengstoff beladenes Schnellboot hat nicht hunderte von unschuldigen Passagieren an Bord.

Eher stellt sich die Frage, ob auf See überhaupt Amtshilfe von Seiten der Bundeswehr benötigt wird. Immerhin hat der Bundesgrenzschutz hier in den vergangenen Jahren auch aufgerüstet und sich hochseefähige Patrouillenboote beschafft. Und dass in Nord- und Ostsee wochenlang Terroralarm besteht, der die Kräfte der Küstenwache überfordert, ist derzeit kaum vorstellbar. Es scheint sich hier wohl vor allem um ein eher symbolisches Vorratsgesetz zu handeln.

Der Plan für ein Seesicherheitsgesetz schreibt dabei die Tendenz fort, die Bundeswehr immer stärker mit Polizeiaufgaben zu betrauen. Damit wird der Verfassungskompromiss weiter aufgeweicht, der Ende der Sechzigerjahre nach der Debatte um die Notstandsgesetze gefunden wurde. Damals war klar: Die Bundeswehr soll im Innern nur in wenigen Ausnahmefällen, zum Beispiel bei schweren Unglücksfällen, eingesetzt werden können. Dass der Schutz vor Terrorangriffen dazugehört, hat damals sicher niemand so gesehen. Für Otto Schily ist dies heute keine Frage mehr.

Ob Schily damit durchkommt, muss das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Wenn es die Klagen gegen das Luftsicherheitsgesetz abwehrt, wird die Bundeswehr sicher bald bei drohenden Attentaten ganze Stadtviertel durchkämmen dürfen. Das früher zu Recht Undenkbare wird langsam denkbar. Zumal die vom Luftsicherheitsgesetz aufgeworfene Frage bleibt: Darf ein Gesetz die Tötung Unschuldiger erlauben, um das Leben von mehr Unschuldigen zu retten? CHRISTIAN RATH