Der Irakkrieg mobilisiert nicht mehr

Am zweiten Jahrestag des Kriegsbeginns gehen in den USA nur wenige Tausend auf die Straße. Die Gegner sind uneins über die Forderung nach einem Truppenabzug. Bush dagegen fehlen jegliche Selbstzweifel. Dabei ist der Krieg weiterhin unpopulär

AUS WASHINGTONMICHAEL STRECK

Welchen Unterschied ein Jahr ausmacht. Vergangenen März, zwölf Monate nach dem Einmarsch der USA in den Irak, angesichts eines blutigen Guerillaaufstandes und katastrophaler Sicherheitslage im Zweistromland, befand sich die Regierung von Präsident George W. Bush massiv in der Defensive, gingen zehntausende Demonstranten in US-Städten auf die Straße.

Nun, am zweiten Jahrestag der Invasion, nach relativ erfolgreichen Wahlen im Irak und hoffnungsvollen Zeichen auf demokratische Reformen im Nahen Osten, fühlt sich Bush in seiner Kriegsentscheidung immer mehr gerechtfertigt, und der Protest der Friedensbewegung scheint erlahmt. Und das, obwohl der Krieg laut Umfragen unpopulärer denn je ist und von einer Mehrheit als nicht lohnenswert eingeschätzt wird.

Vergessen und zu den Akten gelegt scheinen die Kriegslügen, nur noch einige unverbesserliche Kommentatoren weisen gelegentlich auf die Manipulationen hin. Im Abwägen der negativen und positiven Auswirkungen des Krieges dominieren derzeit Letztere, auch wenn sich die Experten noch über Bushs tatsächlichen Anteil an den Veränderungen im Nahen Ost streiten.

Für den Präsidenten selbst ist die Sache klar wie eh und je: Der Krieg hat einen Prozess demokratischer Reformen angestoßen. „Dank unseres Handelns greift die Freiheit im Irak um sich und ist das amerikanische Volk sicherer“, sagte er am Wochenende. Auch von der Bedrohung durch Saddam Hussein für die USA sprach er, die durch den Sturz abgewendet worden sei, und seinen Terrorverbindungen, so, als ob es die vielen Untersuchungsberichte und die 9/11-Kommission nicht gegeben hätte, die das Gegenteil feststellten.

In der allgemein triumphierenden Stimmung haben Kriegsgegner einen schweren Stand. Nur wenige tausend Menschen konnten sie diesmal in San Francisco, New York und Chicago für Demonstrationen mobilisieren. Einer der größten Proteste fand jedoch nicht in den üblichen Hochburgen der Liberalen statt, sondern vor dem Militärstützpunkt Fort Bragg in North Carolina, wo rund 3.000 Veteranen und Familienangehörige von GIs den Abzug der US-Truppen aus dem Irak forderten.

Doch genau hier liegt die Schwäche vieler Kriegsgegner. Sie sind uneins, ob Amerika die Suppe, die es sich im Irak eingebrockt hat, nicht auch auslöffeln soll oder dort als Besatzer nichts verloren hat. Eine wachsende Zahl ehemaliger Bush-Kritiker streut sich sogar Asche aufs Haupt und glaubt, der Texaner habe vielleicht doch richtig gelegen. Dem halten Nahost-Fachleute wie Juan Cole von der Universität Michigan die „Demokratielüge“ entgegen. Bush halte sich fälschlicherweise Ereignisse zugute, die ihm nicht zugeschrieben werden können. Viele Staaten im Nahen Osten würden seit Jahren mit demokratischen Reformen experimentieren. Bushs Demokratierhetorik diene nur dem Ziel, neoimperiale Ambitionen zu verschleiern.