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YOANI SÁNCHEZ POLITIK VON UNTENBitte nicht wieder den gleichen Film!

Militärputsche erinnern an schlimme Erfahrungen lateinamerikanischer Geschichte. Genauso wie Caudillos, die unbedingt auf ewig regieren wollen

Ich lebe in einer Weltregion, die mich jeden Tag aufs Neue überrascht. Nicht so sehr, weil hier so viele außergewöhnliche Dinge geschehen würden, sondern wegen der immer neuen Wiederholung bestimmter Übel. Ich meine damit besonders die Caudillos und die Staatsstreiche, die sich in unserer lateinamerikanischen Geschichte reproduzieren wie Pilze nach einem Wolkenbruch. Eine solche Episode von Personenkult und Gewalt hat sich gerade in Honduras abgespielt, und sie lässt uns mit dem bitteren Gefühl zurück, dass wir diesen Film früher schon mal gesehen haben.

Einige Wochen lang haben die Nachrichtensendungen meines Landes all die Meldungen über die Planübererfüllung bei der Kartoffelernte genauso beiseite gelassen wie die üblichen Aufrufe zum Energiesparen. Kubas Medien widmeten den Geschehnissen in Honduras viele Stunden, obwohl meine Landsleute sicherlich an den hohen Gemüsepreisen und den Problemen des öffentlichen Nahverkehrs mehr Interesse haben. Die Zeitung Granma füllte ihre wenigen Seiten mit der Reise des honduranischen Präsidenten Manuel Zelaya von Costa Rica nach Washington, und sogar unser neuer Präsident, der seit einigen Wochen vor keine Kamera mehr getreten war, gab energische Erklärungen ab, in denen er den Staatsstreich in dem mittelamerikanischen Land verurteilte.

Unsere Politiker schwimmen immer am besten in der Soße der Schwierigkeiten, denn im Alltag können sie ihre vor dem Spiegel für Krisenmomente einstudierten Phrasen gar nicht anbringen. Was in Tegucigalpa geschah, erlaubte es ihnen, ihre Stimmlage zu verändern und sich genüsslich als geborene Krisenmanager zu inszenieren. Wie gut ihnen die Probleme passen!, denke ich, wenn ich sehe, wie sie die vom Streit um Zelaya, Micheletti und der Organisation Amerikanischer Staaten geweckte Leidenschaft ausnutzen, um das Desaster zu verdecken, das wir hier zu Hause erleben.

Was in Honduras geschehen ist, hat auch unter uns einige Gespenster wieder zum Leben erweckt, zuallererst die Sorge um die kubanischen Ärzte und Lehrer, die dort in zivilen Missionen unterwegs sind. Trotz der Garantien, die ihnen die neue Regierung gegeben hat, könnten sie großen Gefahren ausgesetzt sein. Außerdem wächst die Befürchtung, dass wir uns womöglich gerade auf etwas in der Art vorbereiten könnten, wie wir es 15 Jahre lang in Angola erlebt haben. Die neue Bolivarianische Allianz für die Amerikas (ALBA) könnte uns als Pakt an der Seite Venezuelas, Nicaraguas und Boliviens in ein bewaffnetes Abenteuer hineinziehen. Ich weiß, dass der Kalte Krieg und das Schachspielen auf der afrikanischen Landkarte vorbei sind. Aber alle Bedingungen sind gegeben, um beim Versuch, Zelaya wieder auf seinem Posten zu installieren, eine Eskalationsstufe höher zu gehen.

Bei diesen Aussichten kommt mir die Erinnerung daran, wie der Warschauer Pakt unter dem Vorwand, man könne „nicht erlauben, dass ein Glied aus der Kette sozialistischer Staaten gesprengt werde“, in Prag einmarschierte. Mich erschreckt die Vorstellung, ALBA könnte zur Rettungsinstanz für die beteiligten Präsidenten werden. Wenn sie alle entschieden, einfach dauerhaft an der Macht zu bleiben, würde es überhaupt nichts nützen, wenn die Institutionen der einzelnen Länder das verhindern wollten. Es reicht, wenn ein Teil des Volkes sie unterstützt und ein Reporter des Kanals Telesur seine Version der Ereignisse veröffentlicht, um eine Mobilisierung der neuen Allianz zu erreichen, die sich jetzt schon wie ein Pakt für dauerhafte Präsidentschaften ausnimmt. Die Caudillos würden wieder regionale Allianzen nutzen, um ihre Macht zu behalten, und das – es tut weh, das zu sagen – erinnert mich an etwas, das ich eigentlich überwunden geglaubt hatte.

Die Autorin lebt als unabhängige Bloggerin in Havanna

Foto: dpa

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