: Ameisenstraße im Paradies
CINQUE TERRE Wie gelbe und rosa Tupfer stehen die Häuser zwischen türkisfarbenem Meer und grünen Weinbergen. Eine Wanderung entlang der ligurischen Küste von Riomaggiore bis Monterosso al Mare
■ Das sind nicht wie die wörtliche Übersetzung andeutet, „fünf Länder“, vielmehr bezeichnet der Begriff den Küstenstreifen rund um fünf idyllische Dörfer (Riomaggiore, Manarola, Corniglia, Vernazza, Monterosso al Mare) an der ligurischen Küste 100 Kilometer östlich von Genua. Information: In jedem der fünf Bahnhöfe befindet sich eine Touristeninformation. Hauptsitz ist das Büro in Riomaggiore: www.parconazionale5terre.it, Tel.: +39 187 76 00 00.
■ Der beschriebene Wanderweg Nummer 2 von Riomaggiore bis nach Monterosso al Mare verbindet die fünf Dörfer entlang der Küste (Dauer: rund 5 Stunden). Er ist der einzige Weg, für den eine Gebühr von fünf Euro erhoben wird. Am besten ausgebaut ist der erste Abschnitt von Riomaggiore nach Manarola, der Via dell’Amore.
■ Der Höhenwanderweg Num-mer 1 dauert insgesamt zwölf Stunden, er geht von Portovenere bis nach Levanto. Eine lange Strecke führt dabei über einen Kamm in 700 bis 800 Meter Höhe.
■ Literatur: „Cinque Terre und ligurische Küste“ (Oase Verlag, 2008) heißt der Reiseführer von Christoph Hennig. Der Autor gibt einen ausführlichen, in Ansätzen durchaus kritischen Überblick über die Region und liefert zugleich einen übersichtlichen Serviceteil (u. a. mit der Beschreibung von sieben auserwählten Wanderwegen). Infos unter: www.5terre.de. MORITZ FÖRSTER
VON MORITZ FÖRSTER
Venice is at the east coast, we’re at the west coast.“ Der Spaziergänger vor uns – oder ist es ein Wanderer? – erklärt in amerikanischem Englisch seiner Familie jenseits des großen Teichs die Geografie Italiens. Venedig ist an der Ostküste, an der Adria; die Touristen hier in Cinque Terre befinden sich an der Westküste, in Ligurien, am oberen Rand des italienischen Stiefels. Jetzt wissen wir wahrscheinlich schon mehr als Georg W. Bush junior. Mit einer Art zügiger Gemächlichkeit schreiten die US-amerikanischen Jungs oben ohne durch das italienische Naturparadies. Zu zügig, um es einen Spaziergang zu nennen; aber doch zu gemächlich, um von einer Wanderung zu sprechen. Der Kleinere der beiden telefoniert zwar, bewegt sich aber trotzdem sicheren Schrittes vorwärts. Naturerlebnisse im Hightech-Zeitalter.
Die Cinque Terre sind ein großartiges Naturerlebnis – was kein Geheimnis ist. Unser Spazierwandern beginnt in dem südöstlichsten Dorf, Riomaggiore, und führt über die Stationen Manarola, Corniglia und Vernazza bis nach Monterosso. Nach Riomaggiore fahren wir mit dem Regionalzug, der in allen fünf Dörfern Station macht – die gute Anbindung an das öffentliche Verkehrssystem ist auch ein Grund für die Popularität der Region. Aber so einfach, wie es sich anhört, ist es nicht: Kaum steigen wir in Riomaggiore aus dem Zug, stecken wir bereits in einem Fußgängerstau: verengte Fahrbahn durch schmale Bahnhofstür. Zu allem Überfluss löst sich der Stau auch nach dem Passieren des Hindernisses nicht auf. Im Gegenteil, der eigentliche Schlamassel wartet erst noch auf uns: Vor einem grünen Häuschen und dem Anfang des Via dell’Amore, der von Riomaggiore nach Manarola führt, befindet sich eine lustige Ansammlung von Menschen: Senioren mit Walkingstöcken, italienische Damen in Turnschuhen und ganze Familien kämpfen sich kleinen Schrittes nach vorne. Das geschieht in einer eigenartigen Mischung aus Lässigkeit und Eile, die wohl nur in mediterranen Regionen anzufinden ist.
Glücklicherweise erkennen wir schnell, dass auf den eigenen Füßen die Gesetze der Straße nicht zählen – nach mehrfachen Fahrbahnwechseln und erfolgreichen Überholmanövern auf dem Seitenstreifen gelangen wir überraschend schnell zu jenem grünen Häuschen, wo sich eine Fußgängermaut von 5 Euro als Ursache für die Versammlung der Naturfreunde entpuppt. Jetzt geht’s aber los: Der Via dell’Amore ist ein gut ausgebauter Bürgersteig, der direkt an der Steilküste entlangführt. Links unten glitzert das Meer in der Sonne, zur Rechten erheben sich Felsen und Weinberge. Das einzige Problem: Die italienischen Damen sind auch mit Turnschuhen noch kein Ferrari, Gegenverkehr macht die ganze Sache noch komplizierter. Nach guter italienischer Art überholen wir einzelne Fußgängerkolonnen gekonnt auf dem Mittelstreifen, ohne allzu oft Passanten anzurempeln. Nachdem wir Manarola hinter uns gelassen haben, werden die Fußgänger deutlich jünger: Auf einem Warnschild sind Stöckelschuhe durchgestrichen, langsam wird der Bürgersteig zum Trampelpfad, der Spaziergang fast eine Wanderung. Das bis dahin anstrengendste Stück ist der Anstieg nach Corniglia. Wobei Anstieg Steintreppenlaufen heißt.
Oben angekommen treffen wir wieder auf die beiden US-amerikanischen Freunde auf Europa-Reise. Sie haben den Weg verloren (und das, obwohl es eigentlich nur einen gibt). Wir helfen ihnen und dürfen wenig später als Dankeschön an den Plaudereien unserer Wegbegleiter teilhaben. Der Weg hat etwas ins Landesinnere geführt, überall blüht und grünt es. Ob die beiden Freunde mitkriegen, wie sich Sonnenstrahlen ihren Weg durch die zierlichen Blätter der Olivenbäume suchen und den schmalen Pfad in ein faszinierendes Lichtpuzzle verwandeln? Kaum dass wir raus sind aus dem Hain, liegt wieder das im Sonnenschein funkelnde Meer unter uns. Schwer zu sagen, ob unser dauerquatschender Wegbegleiter mit Mama, Papa oder Schwester telefoniert, auf jeden Fall kommt er zu dem Ergebnis: „Yeah, it’s a really beautiful place.“
Wenig später verdeutlicht uns Vernazza, wie recht er doch hat: ein Rätsel, wie die bunten Häuser in diesem kleinen Tal ganz unten am Meer inmitten der Weinberge Platz gefunden haben. Während wir mit Blick auf Stadt und Meer bergab Richtung beschauliches Dorf spazierwandern, ruft uns von rechts eine Stimme etwas zu. Ein freundlicher Italiener hat sich zwischen den Weinpflanzen eine kleine Limonadenbar eingerichtet, die Zitronen dafür presst er gerade frisch aus. Währenddessen erzählt er uns in gut verständlichem Deutsch von seinem grandiosen Plan: im Tropical Island in der Nähe Berlins frisch gepresste Zitronenlimo verkaufen.
Auf der letzten Etappe von Vernazza nach Monterrosso nehmen wir die gleichbleibend paradiesische Umgebung bereits mit aufkommender Gleichgültigkeit zur Kenntnis. Zur Abwechslung könnte ich eigentlich mal meine Mutter anrufen: „Das Paradies ist wunderschön, aber voll ist es hier.“
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