Ein Leben für die Politik

Darf die US-amerikanische Komapatientin Terri Schiavo sterben? Die Republikaner sind dagegen – denn eine harte Haltung in dieser Frage stärkt ihre Position bei der christlichen Rechten

AUS WASHINGTON MICHAEL STRECK

Am zweiten Jahrestag zum Beginn der Invasion im Irak beschäftigte sich Amerika nicht etwa mit Fragen von Krieg, Frieden und Zukunftsaussichten im Zweistromland. Die Schlagzeilen gehörten am Wochenende einem beispiellosen politischen Spektakal, um die Sterbehilfe an einer Komapatientin in Florida zu verhindern.

Jedes Lokalfernsehen im Land zeigte Bilder vom Krankenhaus im Sonnenstaat, wo die 41-jährige Terri Schiavo seit 1990 im Koma liegt und deren künstliche Ernährung am Freitag eingestellt wurde – ein Schritt, den ihr Ehemann nach sieben Jahren Rechtsstreit gegen die streng religiösen Eltern der Frau hatte durchsetzen können. Demonstranten singen Lieder, andere beten und manche haben ihre Münder mit Klebeband verschlossen, auf denen das Wort „Life“ steht. Hochrangige Kleriker des Landes haben Posten bezogen und fordern ein „Recht auf Leben“.

Mit diesem Schlachtruf trommelten führende Republikaner im Kongress in Washington ihre Parteifreunde zurück aus dem Urlaub, um ein Eilgesetz zu verabschieden, dass Schiavo am Leben erhalten soll. Bush kam extra von seiner texanischen Ranch aus den Osterferien eingeflogen, nicht nur um das anvisierte Gesetz sofort unterschreiben zu können, sondern auch um sein politisches Gewicht in die Waagschale zu werfen. Denn, so Bush, in einem Fall wie diesem müssen die Gesellschaft und Gesetze „Stellung für das Leben beziehen“.

Ende vergangener Woche waren zunächst alle Versuche im Kongress gescheitert, ein Gesetz durchzuboxen. Auch der Oberste Gerichshof der USA weigerte sich am Freitag, einem Eilantrag stattzugeben und sich des Falles anzunehmen. Daraufhin luden beide Kammern des Kongresses die bewusstlose Frau zu einer Anhörung ins Parlament – ein Ansinnen, das der bislang zuständige Richter in Florida als geschmacklos zurückwies.

Die christliche Klientel

In der Nacht zum Montag hatte der moralische Feldzug der Republikaner doch noch Erfolg. Der Kongress verabschiedete ein Dringlichkeitsgesetz, das die Wiederaufnahme der künstlichen Ernährung erreichen soll. Es erlaubt den Eltern Terri Schiavos vor ein Bundesgericht in Florida zu ziehen, um die Entscheidung des bislang zuständigen Bezirksgerichts, dass die lebenserhaltende Magensonde entfernt werden darf, rückgängig zu machen. Die Hoffnung der Konservativen: Die höhere Instanz entscheidet in ihrem Sinne. Der Ausgang steht jedoch völlig in den Sternen.

Treibende Kräfte hinter den hektischen Anstrengungen waren die beiden Fraktionschefs der Republikaner im Senat und Abgeordnetenhaus, Bill Frist und Tom DeLay, die alle parlamentarischen Tricks nutzten, um die „Lex Terri“ zu verabschieden. Ihre Motive offenbarten Memos an republikanische Senatoren, die an die Presse durchgesickert waren. In einem ist von einem „großartigen politischen Thema“ die Rede, das sich bei der christlichen Rechten auszahlen werde.

Die Republikaner geben auch freimütig zu, dass ihr Verhalten die von ihnen sonst so beschworene Gewaltenteilung konterkariert, nach der solche Angelegenheiten von den Bundesstaaten geregelt werden, sollte ein bitterer Familienstreit nicht privat beigelegt werden können.

Viele Rechtsexperten und die Opposition verurteilen daher das durchsichtige Manöver. Es missachtet die geltende Rechtsprechung, die zum Vehikel politisch-ideologischer Auseinandersetzungen verkommt. Es offenbart erneut eine Geringschätzung gegenüber der Wissenschaft, hier der medizinischen Gutachten. Es schafft überdies einen gefährlichen Präzedenzfall. Wer will verhindern, dass nicht in Zukunft tausende Familien ihre unlösbaren Konflikte vor den Kongress tragen werden.

Jetzt gegen Todesstrafe?

Solche Bedenken stören die machthungrigen Republikaner jedoch nicht. Indem sie bei der Sterbehilfe intervenieren, eröffnen sie nur eine weitere Front im inneramerikanischen Kulturkrieg, mit der sie, wie bei den Themen Home-Ehe, Abtreibung oder Stammzellenforschung einen Keil in die Gesellschaft treiben, um die christlische Rechte hinter sich zu scharen.

Folgerichtig sollten sich die Konservativen nun mit gleicher Leidenschaft der Abschaffung der Todesstrafe widmen. Wer seinen Einsatz gegen die Sterbehilfe damit begründet, dass „niemand, auch kein Staat, das Recht hat, einem Menschen das Leben zu nehmen“, kann folglich kein Anwalt von Giftspritze und elektrischem Stuhl sein.