Der Aufstand der Unanständigen

DEMOS SIND OUT – PARADEN IN Mit Federregen, Technobeats und einer Menge Parolen tanzten Berlins „Megaspree“-Partyfreunde fett gegen die „Mediaspree“ durch die Stadt und rätselten über den Charakter der Veranstaltung

Ein Partyveranstalter erzählt, was alles hätte besser laufen können. Zu lange Pausen, zu viele Bands

VON LAURA EWERT

„Wer Widerstand leisten will und dabei keine Freude hat, hat schon verloren.“ ruft der Redner der Hedonistischen Internationalen in das Mikrofon. Er steht auf einem mit Spiegelfolie verkleideten Lkw. Das Rote Rathaus dahinter wird vom Rest des roten Abendlichts angeleuchtet, auf dem Lkw blinken die bunten Lichter einer meterlangen LED-Wand. „Mediaspree ade“ erscheint dort, dann wieder blitzt es rot und blau in hunderte euphorisierte Gesichter.

Ein Jahr nach der „Mediaspree versenken“-Parade wird wieder politisiert getanzt. Ein Bündnis von Clubs, Partyveranstaltern, Bürgerinitiativen und alternativen Projekten hat gemeinsam zur Megaspree-Demo aufgerufen, und zu den drei Startpunkten in Friedrichshain, Kreuzberg und Treptow sind auch viele gekommen. Meerjungfrauen, Piraten, Männer in orangefarbenen Anzügen und Mädchen in typisch karnevaleskem sexy Partyoutfit wuseln am Samstagnachmittag am Boxhagener Platz umher.

Die Polizei kontrolliert die Taschen der Teilnehmer nach Glasflaschen und begutachtet die Wagen. Das Yaam muss noch mal nachdekorieren und den Spruch „Acht Bier Acht Cola“ überkleben. Der Wagen der Bar25 ist zu spät dran, nur die Pferdekutsche ist schon da. „Guck mal, das ist die rote Karte“, sagt das kleine Mädchen auf der Kutsche mit blauem Glitzer um die Augen. Sie hält eine dick mit roter Farbe bemalte Pappe in die Höhe. „Für Wowereit“, sagt sie dann und lächelt frech. Immer mehr Menschen sammeln sich am Boxi, dann kommt auch der Lkw der Bar25, die – als von der Schließung bedrohtes Projekt – mit dem Yaam und dem SO36 maßgeblich zur Organisation der Parade beigetragen hat. Auf den Straßen prostet man sich zu, die Polizei schaut sich um, und dann beginnt auch schon die Musik.

Der Zug setzt sich langsam in Bewegung. Vorbei an den Samstagnachmittagsbesuchern im Simon-Dach-Kiez. Vorbei an den Objektiven der Fotografen. Die ersten tanzen und jubeln. Auf dem Lkw positioniert sich eine goldene Quadriga und bewegt sich zum Bass, und auf die Revaler Straße scheint tatsächlich die Sonne. Vor dem Cassiopeia hat sich eine Band aufgebaut und singt Anti-Mediaspree-Songs. Vor den umliegenden Spätkäufen bilden sich Schlangen. Und auch die Restaurants machen einen guten Umsatz, spätestens als sie anfangen, Geld für die Toilettennutzung zu nehmen.

Auf der Warschauer Brücke bleibt der Zug stehen. Es ist 18 Uhr, durch die Lautsprecher wird gerade verkündet, dass die gesamte Teilnehmerzahl bei 6.000 Menschen liegt. Die Leute jubeln, dann kommt der Bass wieder und sie jubeln noch mehr.

„Uns geht’s gut, die Krise seid ihr!“, ruft die Frau am Mikrofon in den Beat hinein. Ist das jetzt eigentlich eine Demo oder eine Party? „Ich hab kein Bier mehr, also ist es keine Party“, sagt eine Frau lachend. In ihrer Hand hält sie einen grünen Luftballon „Die Straßen nur noch zum Tanzen“ steht darauf. Kurz vor der Oberbaumbrücke verbinden sich zwei der drei Demozüge. Aufgeregt verkünden die Veranstalter, es seien jetzt bereits 8.000 Menschen. Man erzählt sich, dass auf dem Kreuzberger Wagen der Bachstelzen keine Musik zu hören gewesen sei, weil der Generator kaputtgegangen ist. „Gut, dass wir hier sind“, sagt jemand.

Innerhalb kürzester Zeit, konnten die Wagenmacher aber einen neuen Generator besorgen. Von einem befreundeten Projekt. So funktioniert eben die sogenannte Szenekultur. Der Wagen des Salons der wilden Renate bläst Papierschnipsel in die Luft.

Eltern mit Kindern auf dem Arm tanzen unter dem Konfettiregen. „Ich als Linksradikaler, finde hier natürlich eine Menge Kritikpunkte“, sagt ein junger Mann mit Seitenscheitel, „Aber hier geht es ja um was anderes. Das ist die Manifestation der Subkultur.“ Von Freiräumen ist viel die Rede, von der Nischenkultur, die Berlin nicht genug unterstützen würde. „Das hier ist unbezahlbares Marketing für die Stadt“, sagt der Linksradikale. Natürlich wird auch von steigenden Mieten und Gentrifizierung gesprochen. Aber sind nicht die Leute, die hier demonstrieren, genau der Motor dieser Gentrifizierung?

An der Jannowitzbrücke stoßen alle Demozüge zusammen. Unter der Brücke tanzen Hunderte. Christian Ströbele steht mit einer Regenbogen-Friedensfahne an der Kreuzung und schaut lächelnd zu. Die Tankstelle hat kein kaltes Bier mehr und vor dem Burger King sammelt sich eine große Traube. „Das hat so ein bisschen den Charakter von der Loveparade 1992“, sagt jemand. „Die Leute kommen hier ja nicht unbedingt nur, um gegen Mediaspree zu demonstrieren. Techno hatte lange Zeit seinen subversiven Charakter verloren. Durch diese Bewegung, kommt die subversive Geste zurück, das wollen die Leute.“

Am Molkenmarkt sammeln sich die verschiedenen Wagen. Bei einigen geht die Musik aus. Gleich soll die Abschlusskundgebung stattfinden. „Das ist wirklich ein breites Bündnis“, sagt jemand lachend und hebt die Wodkaflasche an. Auf dem Bar25-Wagen singt eine Band „Die ganzen Spekulanten können Kacken gehen.“

Danach sprechen Redner wieder von den Freiräumen, die man schützen müsse. Etwas weiter hinten wird noch zu Techno getanzt, viele verlassen den Platz auch schon wieder. Vielleicht wird für einige nun doch zu viel geredet. Ist das jetzt eine Party oder eine Demo? „Beides“, sagt der Sprecher der Hedonistischen Internationale. „Eine Demo darf auch Spaß machen. Alle sind doch irgendwie links, nur auf die typischen linken Strukturen haben sie keine Lust.“ Die Nebelmaschine bläst Rauch auf die Kreuzung. Es fehlt ein wenig die Peaktime-Euphorie. Ein Partyveranstalter erzählt, was alles hätte besser laufen können. Zu lange Pausen, zu viele Bands. Die Demoveranstalter hingegen sind zufrieden, vielleicht ist es doch eher eine Demo als eine Party. „Letztes Jahr war es besser“, sagt eine Teilnehmerin, „da haben wir alle zusammen geschrien. Diesmal wussten wir gar nicht, was wir rufen sollen. Es gab einfach zu viele Parolen.“ Dann tanzt sie lächelnd weiter.