Mit 63 Jahren, da fängt die Haft erst an

Nicht nur der rechtschaffene Teil der deutschen Gesellschaft ist überaltert. Seniorenknäste sind deshalb im Kommen – ein umstrittener Trend: Das Spezialgefängnis kann sich besser um die Bedürfnisse der Senioren kümmern. Aber es isoliert sie auch

VON NADINE BÖS

Sie haben Banken überfallen, Anlagebetrug begangen oder Sexualverbrechen verübt. Die Strafgefangenen im baden-württembergischen Singen sitzen aus den unterschiedlichsten Gründen ein und haben doch vieles gemeinsam: Falten im Gesicht, Wehwehchen hier und da – das Singener Gefängnis ist eine Außenstelle der Justizvollzugsanstalt Konstanz speziell für Senioren. Hier landet nur, wer über 63 ist.

Was in Singen Realität ist, könnte zum Trend werden. Die Überalterung der Gesellschaft geht auch an Deutschlands Knästen nicht vorbei. In Niedersachsen diskutiert man derzeit darüber, eine ganze Strafanstalt einzurichten, die nur auf Senioren spezialisiert ist. Auch im hessischen Schwalmstadt gibt es schon eine Sonderabteilung für ältere Inhaftierte.

Während außerhalb der Gefängnisse „Generationenmix“ inzwischen ein beliebtes Schlagwort ist, führen die Bedingungen im Knast offenbar dazu, dass das Zusammensein von Jung und Alt zum Problem wird. „Die üblichen Angebote im Gefängnis erreichen ältere Inhaftierte nicht“, sagt Jutta Rosendahl vom niedersächsischen Justizministerium. „Man kann Senioren nicht einfach wegsperren, sie haben Anspruch auf eine andere, maßgeschneiderte Resozialisierung.“

Die Alten-Strafabteilung in Singen versucht sich in der Umsetzung solcher Konzepte. Hier gibt es altengerechte Arbeitsangebote, Kochkurse oder Kurse die, Senioren für die Zeit nach der Entlassung auf ein Leben in betreuten Wohneinrichtungen oder Altenheimen vorbereiten sollen. „Unser Personal ist gewohnt, sich auch mit demenzkranken Inhaftierten zu beschäftigen, mehr zu erklären, besser zuzuhören“, erklärt Anstaltsleiter Peter Rennhak.

„Das Thema Demografie im Knast ist zurzeit extrem virulent“, sagt der ehemalige Gefängnispfarrer Ernst Ergenzinger. Ergenzinger betreut den wahrscheinlich am längsten einsitzenden Gefangenen Deutschlands. Ganz genau lässt sich das nicht sagen, denn Daten sind rar. Der Häftling ist 69 Jahre alt und sitzt seit 46 Jahren hinter Gittern. „Richtig wäre eigentlich, solch alte Gefangene zu begnadigen oder, falls das zu gefährlich ist, in psychiatrische Behandlung zu geben“, so der Pfarrer. Die Realität in deutschen Gefängnissen sehe heute aber so aus, dass die älteren Häftlinge eine Beschäftigung bräuchten, die ihnen eine normale Justizvollzugsanstalt oft nicht bieten kann.

Trotzdem gibt es gewichtige Gründe gegen reine Altengefängnisse, warnt der ehemalige Gefängnispfarrer: „Man muss aufpassen, die Senioren nicht völlig zu isolieren.“

Wenn alte Menschen in einem einzigen Spezialgefängnis zusammengelegt werden, müssen die oftmals ebenfalls älteren Angehörigen zudem längere Anreisen für einen Besuch auf sich nehmen.

Der ehemalige niedersächsische Justizminister und Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, Christian Pfeiffer (SPD), hält es auch aus anderen Gründen für sinnvoll, die Generationen im Strafvollzug zu durchmischen. „Die Alten bringen viel Ruhe in ein Gefängnis“, sagt er. „Nur junge Brutalos zusammenzusperren, schafft eine schwierige Atmosphäre.“ Andererseits seien alte Menschen körperlich nicht mehr im gleichen Maße zu Ausbrüchen in der Lage. Es sei also in Seniorengefängnissen möglich, bestimmte Sicherheitsvorkehrungen einzusparen und so die Kosten zu senken.

Abgesehen davon liegt Pfeiffers Ansatz zur Lösung des demografischen Problems hinter Gittern eher in einer anderen Verurteilungspolitik. „Die Justiz ist immer härter geworden, die Wahrscheinlichkeit, hinter Gitter zu kommen, steigt beständig“, sagt der Kriminologe. „Gerade die alte Bevölkerung ist aber statistisch so wenig kriminell wie nie zuvor.“ Pfeiffer plädiert deshalb dafür, einfach weniger alte Menschen einzusperren: „Die ständigen Strafverschärfungen erhöhen nur die Kosten und sind blanker Unsinn.“