„Sie ließen sich nicht in das bürgerliche Leben eingliedern“

Die „Punks von Bergisch Gladbach“ sitzen auf der Straße. Vergangene Woche ließ der Sozialdienst katholischer Männer das Haus, das der Gruppe jahrelang als Unterkunft diente, zwangsräumen. „Man kann nicht ewig betreuen,“ sagen die Katholiken. Die obdachlosen Punks sind verzweifelt

BERGISCH GLADBACH taz ■ Frank hat seinen Kopf auf den Tisch gelegt. Direkt neben Danielas Kaffeetasse hat er seinen Platz gefunden. Die roten Haarsträhnen hängen dem Punk in die Stirn. Frank lächelt mit dem Gesicht eines wagemutigen Skateboardjungens, das so gar nicht zu den Sätzen passen will, die er leise auf den Tisch legt. „Alle sagen, wir sollen verschwinden. Alle sagen: Geht weg! Wir wissen aber gar nicht wohin.“ Siebeneinhalb Jahre lang hat der 30-Jährige immer gewusst, wo er hin gehen soll, wenn die Sprüche kamen. Wenn die Polizeiwagen anrückten, um sie aus der Fußgängerzone zu vertreiben.

Seit einer Woche haben Frank, Daniela, Ingo und die anderen „Punks von Bergisch Gladbach“ kein Zuhause mehr. Der Sozialdienst katholischer Männer (SkM) in Köln, der 1996 das Haus im Gladbacher Stadtteil Bensberg für die jungen Punker anmietete, die vorher in Köln unter dem Fernmeldeturm wohnten, hat seinen Betreuungsvertrag beendet. „Das sind mittlerweile erwachsene Menschen, die ihr Leben selbst in den Griff bekommen müssen. Man kann nicht ewig betreuen“, sagt Werner Just Fachbereichsleiter Beratung und Hilfe beim SkM.

„Ich fühle mich sozialisiert“, sagt Ingo, und sein hellblauer Blick verlässt für einen Moment seinen angestammten Platz auf der Tischplatte. Er sieht in die milde Frühlingssonne, er stützt seine Handflächen auf die Tischplatte und plötzlich wird sein Rücken ganz gerade. „Ich lasse mich nicht so behandeln. Wer bin ich denn?“

Schon im Sommer 2003 hat der SkM es nicht mehr als sinnvoll erachtet, den neun Menschen und ihren „mindestens ebenso vielen Hunden“ ein Dach über dem Kopf zu gewähren. Weil die Bewohner trotz Kündigung in ihrem Domizil verweilten, erfolgte vergangene Woche die Zwangsräumung per Gerichtsbeschluss. „Das sollte nur ein Sprungbrett sein. Aber einige der Betroffenen ließen sich nicht in das bürgerliche Leben eingliedern“, will Just die Zwangsräumung rechtfertigen. In den Tag hinein gelebt hätten viele der Bewohner, nur unregelmäßig seien sie einer Arbeit nachgegangen. Perspektivlosigkeit sei natürlich nicht verboten. Beim SkM könne man damit aber „nichts anfangen“, so Just.

Eine neue Unterkunftsmöglichkeit sieht der SkM für die neun Obdachlosen nicht. Unterkünfte stünden natürlich von der Stadt zur Verfügung. „Dort sind allerdings keine Hunde zugelassen“, sagt Peter Schlösser vom Sozialamt Bergisch Gladbach. Aber ein Grundstück mit Bauwagen oder ein altes, leerstehendes Haus könne man nicht bieten. „Das sind vollkommen utopische Vorstellungen“, sagt Just. In Bergisch Gladbach ist man ebenfalls nicht glücklich über die neuen Bürger „ohne festen Wohnsitz“. Eigentlich, so sagt man beim Sozialamt, sei das ein Kölner Problem, das nun nach Bergisch Gladbach verlagert wurde.

Daniela trinkt eine zweite Tasse Kaffee. „Wir haben unser Leben auf die Reihe gekriegt. Die meisten haben viel weniger getrunken. Einige haben gearbeitet, eine hat begonnen, ihr Abi nachzumachen. Wir haben uns gegenseitig unterstützt, haben auf die Hunde des anderen aufgepasst, wenn der arbeiten war. Wir hatten wenig Stress mit den Nachbarn“, zählt die 29-Jährige auf. Frank klinkt sich ins Gespräch ein. Sein Gesicht klebt schwer auf der Handfläche. Er lugt nur aus einem Auge herüber, über das andere hat seine Hand einen Hautwulst geschoben. „Wir haben nicht mehr so oft laute Musik gehört, wir wollten ja selbst unsere Ruhe.“

Überhaupt sind die Punks von Bensberg in die Jahre gekommen. „Auf die Straße will ich nicht mehr. Dafür bin ich zu alt“, sagt Ingo. Und auch Daniela hat Angst vor der Hoffnungslosigkeit, die sich nur in alkoholisiertem Zustand ertragen lasse. „Und jeden Morgen mit einem Bier aufwachen, das möchte ich nicht.“ Lieber will Ingo wieder arbeiten gehen. „Sechseinhalb Jahre habe ich für den SkM Möbel geschleppt“, sagt er. Wenn man sich parallel darum kümmern müsse, wo man in der nächsten Nacht schlafe, wo man sich am nächsten Morgen waschen könne, wer auf die Hunde aufpasse, wenn man nicht da sei, sei regelmäßiges Arbeiten nicht möglich, sagt Ingo. „Wir können uns auf der Straße nicht ordentlich waschen. Wer geht denn so zur Arbeit?“

Daniela lacht, weil sie lachen will. Weil sie trotzdem ein bisschen Heiterkeit in die Runde werfen will. Weil sie nicht vorhat, sich unterkriegen zu lassen. Sie hat sich die Fröhlichkeit nur aufgesetzt wie einen zu großen Hut. Und trotzdem nehmen Frank und Ingo die aufgehellte Stimmung gerne an.

„Als wir raus mussten, sind schon ein paar Tränchen geflossen. Aber wir suchen uns etwas Neues. Erst einmal ein bisschen ausruhen, dann suchen wir was Neues“, wiederholt Ingo beschwörend. CLAUDIA LEHNEN