: New Order?
Vom Ich, Nicht-Ich und den anderen: Und über die nicht zwingend gegebene Notwendigkeit der neuen Alben von Beck und Moby
VON TOBIAS RAPP
Das war durchaus einmal eine Nachricht, auf die man gewartet hat: Ein neues Beck-Album ist da! Doch nach zehn Jahren und mehr als einem halben Dutzend Alben scheinen alle biografischen Daten zu Beck Hansen ins popkulturelle Basiswissen überführt, seine Vergangenheit als Straßenmusiker tausendmal erzählt und seine illustre Verwandtschaft, die ihn mit der Fluxus-Bewegung verbindet, auf ihre Bedeutsamkeit für seine Kunst abgeklopft worden. Selbst der Umstand, dass Beck – immerhin einmal die Personifizierung des verwuschelt-fantasievollen Slackers – sich den Scientologen angeschlossen hat, hat noch zu keine Kontroverse geführt.
Als allgemeine Lesart seines Werks hat sich eine Interpretation durchgesetzt, die man so umreißen könnte: Es gibt den Karrierebeginn mit dem Welthit „Loser“ – wobei die Betitelung des neuen Albums „Gureo“ (Universal), dem mexikanischen Wort für white boy, endlich auch die Zeile vor dem Loser-Refrain beleuchtet: sie ist Spanisch und heißt „Soy un perdedor“, für alle, die immer „So I don’t get it all“ oder irgendwelchen lautmalerischen Unsinn vor sich hin gesungen haben, weil sie nicht wussten, was „I’m a loser“ auf Spanisch heißt. Damit ging alles los, die Karriere als großes Missverständnis, weil das Stück die Generation-X-Hymne, die es wurde, ja nie werden wollte und damit ein bestimmtes Gefühl erst recht traf.
Zwei Indie-Platten, die den Superstarstatus unterminieren sollten, folgten, bevor Beck die Phase der schizophrenen Konsolidierung begann, die, so viel kann man ruhig verraten, noch immer anhält: mit Platten nämlich, die entweder nach dem Modell seines Albums „Odelay“ gebaut sind, also dem wilden Sample-Wahnsinn frönen, und sich fröhlich durch ein Referenzuniversum holzen, das sich aus Anleihen bei Rock, Pop, Folk, Tropicalia, Blues, Country, Easy Listening, Filmmusik, HipHop, Funk, Soul und was es da noch so alles gibt, zusammensetzt. Oder es gibt Platten, auf denen Beck mehr oder minder traurige Lieder singt und sich eher dem Künstlermodell des Singer-Songwriters orientiert – am vollkommensten wohl auf „Sea Change“. Mit den Platten des letzteren Modells sagt Beck „Ich“, mit denen des ersteren „Nicht-Ich“. Ihre Abfolge alterniert.
„Gureo“ folgt dem „Odelay“-Modell (Beck soll übrigens schon wieder mit dem Produzenten von „Sea Change“ im Studio sein, nächstes Jahr wird also wieder gejammert). Von hier und da werden Bezüge hergezaubert. Das großartige „Black Tambourine“ bedient sich bei dem vergessenen Funk-Musiker Eugene Blackwell, „Hell Yes“ zieht sich seinen Bass von den Ohio Players, „Missing“ ist ein flottes Bossa-Stück, und die Single-Auskoppelung „E-Pro“ bringt das Kunststück fertig, gleichzeitig die Beastie Boys zu zitieren, an „Loser“ zu erinnern und sich doch als ganz frischer Ohrwurm perfide in den Gehörgängen festzusetzen.
Bei aller Perfektion leidet „Guero“ aber unter einem so simplen wie entscheidenden Problem: Abgesehen davon, dass sie in einem wunderbaren Stück wie „Girl“ dem Beck-Universum ein bisher noch nicht inkorporiertes Geräusch hinzufügt, das 82-New-York-Electro-Fiepen nämlich, und jenseits des Umstands, dass es die neue Beckplatte ist, führt sie keinen größeren Grund an, der ihre Existenz legitimieren würde. Sie läuft gut durch. Aber während alle anderen Beck-Platten sich immer primär musikalisch erklärten, muss man sich „Guero“ selbst interessant denken – sei es durch eine Hilfskonstruktion wie die Frage, ob sich Becks Scientology-Mitgliedschaft in seiner Musik niederschlägt (erste Antwort: nein. Aber die zuständigen Gremien tagen noch).
Das ist ein Problem, das Moby wahrscheinlich gerne hätte. Denn seine Platten wollten nie etwas anderes als gut durchlaufen, und manchmal – dieses Gefühl wird man nicht los, wenn seine ebenfalls rund zehn Jahre alte Karriere so betrachtet – wäre er bestimmt gerne Beck. Nur für eine Platte. Denn wo jener immer wieder durch das Zitat zum „Ich“ findet (oder eben zum „Nicht-Ich“), kann sich Moby immer nur hinstellen und laut: „Die anderen!“ rufen. Wo Beck ein Künstler ist, ist Moby nur der Darsteller eines solchen, was in Anbetracht der Tatsache, dass er in seinem ganzen Leben keine einzige musikalische Idee hatte, die er vor Gott sein Eigen nennen kann, doch immer noch eine ganze Menge ist.
Tatsächlich geht es darum im Pop ja eigentlich auch nicht. Und die Kunst, eine Weltkarriere auf wissentlichem Epigonentum aufzubauen, ist unter Popgesichtspunkten ohnehin die größte aller Künste. Trotzdem lauscht man seinem neuen Album „Hotel Moby“ (Mute) und denkt sich: braucht man wirklich eine Moby-Platte, die klingt wie New Order? Gibt es dafür nicht schon diese britischen Nachwuchsbands, die immer auf dem Cover des New Musical Express als Rettung des Rock abgefeiert werden? Von New Order selbst ganz zu schweigen?
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