Nachdenken über „verschiedene Projekte“

In Brüssel wurde einst die EU-Feinstaubrichtlinie beschlossen. Heute sagen die Parlamentarier: „Am besten nicht dran denken“. Denn ausgerechnet in der Geburtsstadt der Luftqualitätsoffensive schert sich niemand um den Dreck

BRÜSSEL taz ■ Brüssel gehört zu den schwarzen Flecken auf der europäischen Landkarte – was die Luftqualität betrifft. Untersuchungen belegen, dass die Luftverschmutzung der belgischen Hauptstadt die Lebensdauer um durchschnittlich 36 Monate verkürzt. Zum Vergleich: der EU-Durchschnitt liegt bei neun Monaten und gilt beispielsweise auch für die meisten deutschen Großstädte. Und ausgerechnet in der Stadt, in der die EU-Kommission immer wieder tapfer Vorschläge zur Verbesserung der Luftqualität macht, nehmen die Rußpartikel – besser bekannt als Feinstaub – stetig zu. Typisch Belgien: In einer kürzlich vorgestellten Studie zur Luftqualität rangierte Belgien an 112. Stelle – knapp hinter Togo.

In der Brüsseler Region wurde der von der EU festgelegte Grenzwert von 50 Mikrogramm Ruß pro Kubikmeter im vergangenen Jahr an 69 Tagen überschritten. Nur 35 sind erlaubt. Schuld daran, sagen Greenpeace und auch das belgische Umweltministerium, sind vor allem Lastwagen und Autos. „In Belgien läuft nur sehr, sehr wenig über die Schienen. Außerdem ist das Bewusstsein bei der Bevölkerung nicht ausgeprägt“, sagt Jean-François Fauconnier von Greenpeace Belgien.

Tatsächlich schieben sich in der belgischen Hauptstadt und gerade im EU-Viertel tagtäglich unglaubliche Blechlawinen durch die Straßen. Und die breiten, oft vierspurigen Straßen begünstigen das noch zusätzlich. Das Brüsseler Umweltinstitut IBGE schätzt das Verkehrsaufkommen täglich auf mindestens 500.000 Fahrzeuge.

Da erscheint der Aktionismus der EU-Kommission, deren Bürogebäude direkt an einer der Hauptverkehrsstraßen liegt, schon fast grotesk. Gerade erarbeiten die Beamten ein neues Aktionsprogramm für Luftqualität. Das wollen sie im Mai den Mitgliedstaaten vorstellen. Denn, so die Umweltsprecherin Barbara Helfferich, „bisher tun die nationalen Regierungen viel zu wenig“, um die Qualität zu verbessern. „Die Mitgliedstaaten hatten zwei Jahre lang Zeit, uns entsprechende Aktionspläne vorzulegen. Aber nichts ist passiert. Jetzt klagen sie über zu strenge Grenzwerte.“

Zum Beispiel die Umweltministerin der Region Brüssel, Evelyne Huytebroeck. Offiziell ist sie sich zwar des Problems bewusst und „denkt gerade über verschiedene Projekte zur Luftverbesserung nach“. Genaueres will das Ministerium aber nicht bekannt geben. Man befinde sich in der Diskussionsphase, heißt es lapidar. Zwar ist der Grenzwert in diesem Jahr schon gut zwei Dutzend Mal überschritten worden. Zwar wurde an manchen Tagen doppelt so viel Feinstaub wie zulässig registriert. Fahrverbote? Davon will Huytebroeck nichts wissen.

Auf nationaler Ebene gibt es aber bereits erste Ansätze für Besserung: So bezahlt der belgische Staat zum Beispiel neuerdings einen Teil der Abonnements für den öffentlichen Nahverkehr von Pendlern, die im Gegenzug auf die Autonutzung verzichten. „So können wir auch den Kohlendioxid-Ausstoß um bis zu zwölf Prozent verringern“, hofft Tom van Irland, im Kabinett für Klimaschutz zuständig.

Allerdings: Die Umsetzung zieht sich in die Länge. Deshalb gibt Kommissionssprecherin Barbara Helfferich den lakonischen Rat: „Am besten gar nicht daran denken, was wir täglich einatmen!“ RUTH REICHSTEIN