„Staat im Übergang“

PAKISTAN Die JournalistInnen des Landes diskutieren über al-Qaida – und warum der Westen in Afghanistan nicht gewinnen kann

Für alle ist klar, dass kein Weg daran vorbeiführt, die Taliban an der Regierung zu beteiligen

AUS BERLIN SVEN HANSEN

Deutsche Journalisten sehen die Entwicklungen in Pakistan viel negativer als dortige Medienvertreter. Das ist das Fazit des ersten deutsch-pakistanischen Mediendialogs des Auswärtigen Amtes und des Instituts für Auslandsbeziehungen (IFA), der kürzlich in Berlin stattfand. „Pakistan ist ein erodierendes Land,“ sagte etwa Spiegel-Korrespondentin Susanne Koelbl, die zuletzt im Mai dort war: Mafiosi, Warlords und Extremisten würden an Macht gewinnen, so Koelbl.

„Ausländische Journalisten kommen mit vorgefertigten Meinungen nach Pakistan“, beklagte hingegen Sanna Bucha vom pakistanischen Nachrichtensender Geo TV: „Die nötige Offenheit ist nicht da.“ Während in der deutschen wie der westlichen Berichterstattung allgemein Sicherheitsprobleme stark dominierten, beschrieben die pakistanischen Journalisten ihr Land als Staat im Übergang. Sie könnten heute frei berichten und hätten eine wichtige Rolle bei der Beendigung der Diktatur – wie zum Beispiel bei der Wiedereinsetzung entlassener Richter gespielt. Zwar gebe es immer noch Einschüchterungsversuche aus der Regierung und von bewaffneten Extremisten, aber die Medien würden sich trotz der bestehenden Sicherheitsrisiken für einzelne Reporter meist erfolgreich wehren, lautete der einhellige Tenor.

Uneinig waren sich die pakistanischen Journalisten in der Frage, wieweit Interviews mit Vertretern der Taliban oder anderer militanter Islamisten diesen propagandistisch nützten. Dem Terror so erst Aufmerksamkeit zu verschaffen wurde in Kauf genommen oder gar verteidigt. „Ich kann ein Vermögen verdienen, wenn ich Ussama Bin Laden oder nur ein Al-Qaida-Mitglied interviewe“, sagte Rahimullah Yusufzai aus Peschawar. „Diese Leute beeinflussen die Welt. Wie kann ich sie da ignorieren?“ Yusufzai ist Redakteur bei der Tageszeitung The News, arbeitet auch für die britische BBC sowie die US-Medien ABC und Time. Die würden solche Interviews sofort veröffentlichen, sagt Yusufzai, der 1998 gleich zweimal Al-Qaida-Chef Bin Laden interviewte. Yusufzai gilt wegen seiner Kontakte als einer der besten Kenner der militanten Islamisten der Region, andererseits auch als einer ihrer Apologeten.

Kürzlich hätte sich ein Taliban-Kommandeur bei ihm beklagt, dass Pakistans Medien heute kaum noch dessen Verlautbarungen veröffentlichten, während sie früher alles gebracht hätten. „Die Taliban drohen heute Journalisten. Wir müssen angemessen über sie berichten, sonst sind wir in Gefahr“, sagte Yusufzai.

Umstritten blieb aber, was als angemessen gilt. „Wir haben noch immer nicht klar, wer die Terroristen und wer die Freiheitskämpfer sind“, meinte Saleem Khan von der urdusprachigen Tageszeitung Daily Jang. „Wir pakistanische Journalisten müssen merkwürdigerweise erst nach Deutschland kommen, um überhaupt so eine Debatte zu führen“, fasst Farhan Bokhari, Korrespondent der britischen Financial Times und Moderator einer Talkshow im pakistanischen Fernsehen das Dilemma zusammen. Die deutschen Journalisten fühlten sich derweil mehr als Gäste denn als Teilnehmer eines bilateralen Dialogs.

Doch über alle ideologischen Unterschiede hinweg herrschte unter den pakistanischen Medienvertretern in einem Punkt erstaunliche Einigkeit. Für alle ist völlig klar, dass die westlichen Soldaten den Krieg in Afghanistan nicht gewinnen könnten und dass dort kein Weg daran vorbeiführe, die Taliban an der Regierungsverantwortung zu beteiligen. Auch in Pakistan werde es erst Frieden geben, wenn die westlichen Soldaten aus Afghanistan abgezogen seien. Die deutschen Journalisten nahmen dies mit Erstaunen bis hin zur Ungläubigkeit zur Kenntnis.