frisches flimmern
: Von Puritanismus und Masturbation

Große Neuigkeit: Hollywood wagt es wieder, über Sex zu reden. Aber mit den Filmen von Larry Clark hat es nichts zu tun. Hier geht es um das heimische sexuelle Leben „normaler“ Menschen, und nicht um „entartete“ Teenagers. Man hat eigentlich viel positive Werbung über Kinsey gemacht. Dafür gibt es zwei Gründe: Erstens ist der Film nicht so obszön wie „Ken Park“ oder „Baise moi“, deshalb kann man es im Kino ohne Verbot zeigen; zweitens zeigt er, wie man durschnittliche Menschen zum Verstehen bringt. Für uns Europäer mag es ein wenig belanglos wirken, aber lasst uns nicht vergessen, wie puritanisch Amerika außerhalb seiner Medien ist. Aber was war überhaupt das Ziel des Regisseurs? Wollte er betonen, dass Amerika die Sexuelle Revolution der 60er Jahre ausgelöst hat, oder einen sarkastischen Vergleich mit der heutigen Lage machen? Humm...Vielleicht geht es aber auch nicht um Massenerziehung. „Lass uns über Sex reden“ lockt immer das Publikum an, auch wenn es keinen tiefen Sinn hat. Der Film erzählt die wahre Geschichte des Dr. Kinsey – der Mann, der Amerika sexuell befreit hat. Worum ging es genau in seiner Arbeit? Im konservativen Amerika der 50er Jahre hat er gezeigt, dass Sex nicht falsch ist, und dass jeder schon sexuelle Erfahrungen hatte. Außerdem: Masturbieren macht weder taub noch impotent. Aber sobald sich Kinsey mit weiblicher Lust beschäftigt, beginnen die Probleme. Solange er sich nur um das sexuelle Leben von Männern gekümmert hatte, bekam er Unterstützung der Rockfeller Foundation. Aber über die Sexualität von Frauen will man nichts hören. Es scheint, Amerika war nicht bereit zu lernen, dass auch Großmütter sich selbst befriedigen.

Sollten wir uns freuen, dass Kinsey lange her ist? Was ist mit der heutigen Lage in den USA? Das Land, wo fast keine Frau mit einem Mann am ersten Abend schläft, wo Fellatio und Analverkehr in mehr als nur einem Staat (auch für Ehepaare) streng verboten sind?

Der Regisseur hat eine neue Art von Revolutionär zeigen können, aber Dr. Kinsey erinnert ein bisschen zu sehr an John Nash in „A beautiful mind“: Er macht sich selbst krank, verliert den Kontakt zur Realität und hat (wie immer) eine schöne liebevolle Frau, die ihn unterstützt... Kinsey wird als Held ohne Angst und Schrecken dargestellt. Obwohl sein Vater Pfarrer ist, widersteht er der Gesellschaft. Seine Begeisterung, mit der er die Sexualität seziert, ist die eines Kindes, das sich zum ersten Mal nackt sieht. Schließlich erfährt er, dass es falsch ist, das Thema kalt wissenschaftlich zu betrachten. Was den Menschen über das Tier stellt, ist sein Geist, die Möglichkeit zu lieben – und das kann man nicht messen.

HÉLÈNE WANYOU