Mehr als MTV

Das HipHop-Filmfestival „Rhythm of the Line“ zeigt in Spielfilmen und Dokumentationen die ganze Geschichte von Breakdance, Rap und Graffiti

Ein Möbiusband ist eine einseitige Fläche, wie man sie erhält, wenn man einen Papierstreifen mit um 180 Grad gedrehten Enden zusammenhält. Der Effekt ist simpel und faszinierend: Fährt man ein solches Band entlang, gerät man von innen nach außen, von oben nach unten, ohne dass man über den Rand des Bandes hinausgehen müsste. Der Künstler M. C. Escher hatte große Freude an diesem Spiel der Dimensionen; wie sein Werk insgesamt, von den zirkulären Wasserfällen bis zu den unendlichen Treppen, wie das Bild gewordene Scheitern der klassischen Physik wirkt: Dass die Dinge dieser Welt klaren Koordinaten von Raum und Zeit zugeordnet werden können – dem spricht Eschers Kunst hohn, und das Möbiusband, das er 1961 aus Holz schnitt, ist das verdichtete Symbol dieser multiplen Wirklichkeitsauffassung.

In dem Film „Moebius 17“, der beim Berliner HipHop-Filmfestival „Rhythm of the Line“ Premiere feiert, sieht man ein Möbiusband aus Glas. Das trifft die Sache recht gut, denn was die Quantenphysik beschäftigt und den Künstler Escher inspirierte, das passt ebenso in den Kosmos von Kiffern und Verschwörungstheoretikern. Die sind in dem Sciencefiction auf den Plan gerufen, denn Unerklärliches ist geschehen: Der U-Bahn-Zug, den die beiden Sprayer „Einer“ und „Anderer“ in der Nacht zuvor bemalt haben, ist verschwunden. Die zwei Sprayer machen sich auf die Suche nach dem Zug und geraten dabei in ein Netz von physikalischen Spekulationen und dubiosen Machenschaften: Der Chef der U-Bahn-Gesellschaft scheint seinerseits ein Interesse daran zu haben, dass der Zug nicht wieder auftaucht.

„Moebius 17“ ist in Schwarz-Weiß gedreht, die düstere, konspirative Atmosphäre erinnert an Darren Aronofskys „Pi“ oder Hans-Christian Schmids „23“; die Zahl 17 taucht immer wieder auf in diesem Film, der auch sonst voller Verstrickungen und Anspielungen – und jeder Menge Humor – ist: Der Bahnchef wird gespielt von Arno Funke, besser bekannt als Kaufhauserpresser Dagobert, der seine Beute aus fahrenden Zügen werfen ließ; der Film selbst ist ein Remake des wunderbaren argentinischen Films „Moebius“. Und Frank Lämmer, neben Jo Preussler einer der Macher des Films, ist selbst Sprayer – sein Synonym lautet Esher, und es ist kein Zufall, dass das an den eingangs erwähnten Künstler erinnert.

Um Sprayer in Berlin dreht sich „Moebius 17“ – doch das Festival deckt sehr viel breitere Aspekte ab. Spielfilme und Guerillavideos, Kurzfilme und Dokumentationen zeigen die HipHop-Kultur, zeigen Breakdance, Rap und Graffiti, von den Anfängen bis in die Gegenwart. Gebracht werden frühe amerikanische Klassiker wie Charlie Aherns „Wild Style“ (1982) oder Stan Lathans „Beatstreet“ (1984). Mit „Style Wars“ (1983) von Tony Silver und Henry Chalvant begann HipHop aus New York in die Welt zu strömen: Chalvant bemerkte damals erstaunt, dass die Sprayer in den Pariser Banlieues einen anderer Stil als ihre Kollegen aus Brooklyn hatten: „A different rhythm of the line – der Name des Festivals geht hierauf zurück.

Nicht verpassen sollte man auch „Stations of the Elevated“: Der Deutsche Manfred Kirchheimer ging 1979 (!) in die USA, um die aufkommende Sprüher-Community der Bronx zu filmen. Der Film zeigt die Graffiti-Szene der allerersten Stunde – Kirchheimer unterlegte die Bilder mit Jazzmusik, weil Rap noch in den Kinderschuhen steckte. Kritiker sagten damals über den Film, nur er werde in Erinnerung bleiben, doch es kam genau andersherum: Während Werke wie „Wild Style“ allgemein als Beginn der Szene gehandelt wurden, geriet „Stations of the Elevated“ in Vergessenheit.

Berlin ist neben „Moebius 17“ auch mit dem Kreuzberger Neco Celik und dessen Film „Urban Guerillas“ sowie Till Hastreiters „Status Yo!“ vertreten; Filme aus Spanien, Japan oder Israel zeigen, was HipHop in anderen Erdteilen für Blüten treibt. Es wird gerappt und getanzt, Züge werden besprüht und Platten aufgelegt – und ohne folkloristisches Undergroundpathos beschwören zu wollen, ist es einfach sehr cool, zu sehen, wie viel Glaubwürdigkeit und Kreativität einst in der Szene herrschte – und jenseits von Plattenindustrie und Vorstandsetagen noch immer herrscht. Also: Hingehen, angucken und darüber nachdenken, ob man der Welt von MTV nicht wieder seinen eigenen Stempel aufdrücken sollte; könnte ja sein, dass auf dem Möbiusband noch Platz für andere Wirklichkeiten ist. SEBASTIAN FRENZEL

Rhythm of the Line. Internationales Graffiti und HipHop Filmfestival Berlin. 24.–28. 3., im Eiszeit Kino und an anderen Orten. Programm: www.rotl.de