Die Landratten kommen

Der alte Freihafen in Hamburg hat ausgedient. Auf den Kais entsteht ein neuer Stadtteil: die Hafencity. Das ehrgeizige Projekt läßt Planer und Architekten schwärmen. Doch den Realitätstest muss der Stadtteil erst noch bestehen.

VON OLGA-LOUISE DOMMEL
UND ANNA-MAREIKE KRAUSE

Strahlend blauer Himmel und leuchtend blaues Wasser - Hamburg? Wohl kaum. So präsentiert sich die Hansestadt nur, wenn man in den Werbebroschüren der HafenCity Hamburg GmbH blättert. Statt der üblichen Schwerstbewölkung herrscht in deren Prospekten flächendeckend eitel Sonnenschein. Der alte Freihafen wird ausgebaut, und soll bald so aussehen: Bootsstege, Plazas, Parks und Cafés, soweit das Auge reicht. Ein paradiesischer Ort, an Maritimität und Mediterranität kaum zu überbieten.

Seit 2001 baut die Stadt Hamburg einen neuen Stadtteil: die Hafencity. Südlich der Innenstadt, direkt am Elbufer, sollen künftig Wohn- und Bürogebäude stehen. Auf dem Sandtorkai sind fast alle Häuser fertig und zum Teil seit Dezember vergangenen Jahres bewohnt. Schon im Januar 2003 hatte die Softwarefirma SAP ihre Geschäftszentrale eingeweiht. Jetzt verlegen Bauarbeiter die letzten Treppenstufen des ersten öffentlichen Platzes. Er wird im Juni eingeweiht.

Die Hafencity soll ein lebendiger Stadtteil mit maritimem Flair werden, sorgfältig und ausgewogen geplant - so stellt es sich die HafenCity Hamburg GmbH vor, die die Stadt eigens gegründet hat, um die Entwicklung des Geländes zu planen und die Grundstücke zu verkaufen. 25 Jahre geben sich die Macher, genug Zeit um eventuelle Fehler zu korrigieren und die Planung sich wandelndem Bedarf anpassen zu können. Dennoch bleiben jede Menge Fragen offen.

Weil der alte Hafen an die Innenstadt grenzt und die Elbe auf dem Weg dorthin nicht tief genug ist, können die immer größer werdenden Frachtschiffe oft nicht mehr passieren. Der Freihafen wurde überflüssig, 155 Hektar Brachfläche blieben übrig. Welches Potenzial verwaiste Häfen haben, wurde in anderen Ländern längst entdeckt: Bereits seit den 60er Jahren werden etwa in London, Sydney oder Amsterdam dort Häuser gebaut, wo einst Schiffe anlegten.

Auf den alten Kais von Hamburg könnte nun etwas Schönes, etwas Großartiges entstehen. Weil es reizvoll ist, neue Gebäude zu planen und kaum alte dafür abreißen zu müssen. Weil hier jede Wohnung Wasserblick haben soll und die Innenstadt trotzdem nur zehn Fußminuten entfernt liegt. Weil hier das Tuckern der Schiffsmotoren und das Tuten der Nebelhörner zu hören ist. Kurz: Weil es hier spannend ist.

Doch die Macher drohen die Chance, architektonisch ausgefallene Wege zu beschreiten, zu verpassen. Zurückhaltend und gediegen bleiben die Entwürfe innerhalb bekannter Konventionen. Auch eine lebendige soziale Mischung wird nicht gefördert. Denn in der Hafencity zu leben, ist nicht billig. Die Mieten liegen deutlich höher als in anderen teuren Wohngegenden der Hansestadt. Zwar sprechen die Macher immer wieder vage von geplanten Genossenschaftswohnungen, doch konkrete Pläne sind bisher ausgeblieben.

Je mehr Häuser fertig werden, je mehr Menschen hierher ziehen, desto weniger bleibt von der rauen Hafenatmosphäre. Sie weicht modernen Glas-Stahl-Konstruktionen und Klinkerbauten. Auf das Dach eines riesigen Backsteinspeichers soll die Elbphilharmonie gebaut werden, eine gigantische Glaswelle mit zwei Konzertsälen, Hotel und Apartments. Auch ein Schifffahrtsmuseum und ein Großaquarium sind geplant, kleinere Kultureinrichtungen dagegen bisher nicht.

Und so ist der neue Stadtteil unter Hamburgs Kulturschaffenden umstritten. Gleichzeitig wird die Hafencity mit der alten, gewachsenen Innenstadt um Einkaufsbummler, Konzert- und Restaurantbesucher konkurrieren müssen. Der Reiz des Neuen allein wird dafür langfristig nicht ausreichen.

Vielleicht aber der strahlend blaue Himmel und das leuchtend blaue Wasser. Doch für mediterranes Klima wird Hamburg wohl noch auf die globale Erwärmung warten müssen.