Kein Recht auf Konsum

Der Geschichtsprofessor Paul Nolte plädiert im philosophischen Café des Literaturhauses für Eigenverantwortung und gegen Staatsergebenheit

Utopie einer Bürgergesellschaft, in der jeder Einzelne Verantwortung trägt

von Katrin Jäger

Mit seinem Essayband Generation Reform avancierte Paul Nolte im vergangenen Jahr zum Theoriestar in Sachen deutsche Gesellschaft und Politik. Der 41-jährige Geschichtsprofessor an der Internationalen Universität Bremen (IUB) plädiert für eine neue Bürgergesellschaft, in der jeder Verantwortung für sich und das gesellschaftliche Ganze übernimmt.

Am Dienstag wird Nolte im philosophischen Café des Hamburger Literaturhauses seine Thesen mit dem Journalisten Reinhard Kahl diskutieren. Ein publikumswirksames Thema, ist das Bedürfnis nach einer Umwertung gesellschaftlicher Normen, die weiter reicht als die systemimmanenten Reformansätze wie Praxisgebühr und Hartz IV doch zweifellos vorhanden.

„Wir können und sollten nicht mehr alles von einem regulierenden, allmächtigen Staat erwarten, sondern uns auf eigene Stärken und Freiheiten verlassen“, sagt Nolte und ermuntert vor allem die Generation der 40-Jährigen, sich vom Vater-Staat-Verständnis zu emanzipieren.

Nolte fordert eine Politik, die die Probleme der sozialen Ungleichheit bei gleichzeitig nötigem Umbau des Sozialstaats neu betrachtet, „jenseits der alten Kategorien von ,Fortschritt‘ versus ,Beharrung‘, ,links‘ versus ,rechts‘“. Konkret heißt das für Nolte, wegzukommen von der lieb gewonnenen Konsumhaltung. Statt seinen Computer spieletechnisch hochzurüsten oder den dritten DVD-Recorder in der Familie anzuschaffen, rät er, das Geld „sozialinvestiv“ anzulegen, also in Bildung, Altersvorsorge und Risikoabsicherung.

Es gäbe keinen Rechtsanspruch darauf, „hohe Nettoeinkommen für Konsum zu verheizen“, lautet sein Appell. Er scheut sich auch nicht, die sozial Schwachen als „Unterschicht“ zu bezeichnen, nicht im Sinne des ausgrenzenden Stigmas, sondern um verdrängte Probleme dieser Gruppe zu verdeutlichen. Die meisten übergewichtigen Kinder etwa kämen aus sozial schwachen Familien. Die Fastfood-Fehlernährung könne aber nicht auf Geldmangel beruhen, da ein Familienmenü bei McDonalds mehr koste als ein selbst gekochtes Gericht aus frischen Zutaten.

Der bürgergesellschaftlichen Utopie nach würden also – vereinfacht ausgedrückt – neue ethische und religiöse Werte die Profitgier der Fastfood-Ketten-Betreiber ächten, weil sie sowohl der Gesundheit des einzelnen Burger-Essers schade, als auch volkswirtschaftlichen Schaden anrichte – in Form von Kosten für chronische Folgeerkrankungen von Fehlernährung. Die verantwortlichen BürgerInnen der nolteschen Utopiegesellschaft würden deshalb McDonalds und Co. meiden – es sei denn, die Betreiber von Fast Food Ketten stiegen auf Gesundheitskost um. Eine Idee, die weiterzuspinnen lohnend ist.

Philosophisches Café mit dem Geschichtsprofessor Paul Nolte, am 29.3. um 19 Uhr im Literaturhaus (Schwanenwik 38)