Gedenken mit Würde I

Ursula Randt legt zum 200-jährigen Jubiläum der Hamburger Talmud Tora Schule ein Kompendium vor, das von großer Einfühlung in Schüler- und Lehrerschicksale zeugt

Ein Foto, das um 1914 entstand, zeigt das imposante Gebäude Talmud Tora Schule am Hamburger Grindelhof. Etwas verschwommen im Hintergrund ist die monumentale Synagoge am Bornplatz abgebildet. Eine Konstellation, die exemplarisch ist und eine nicht nur räumliche Nähe beschreibt, hat doch das gesetzestreue orthodoxe Judentum damals wesentlich die Schulwirklichkeit bestimmt. Anlässlich des in diesen Tagen zu begehenden 200-jährigen Jubiläums der Schule erscheint nun das von Ursula Randt verfasste Buch „Die Talmud Tora Schule in Hamburg 1805 bis 1942“.

Die Jüdische Gemeinde, aber auch alle anderen potenziellen Leser hätten sich keine bessere Autorin wünschen können. Denn in Hamburg gibt es niemanden, der sich besser in der traditionsreichen hiesigen jüdischen Schulgeschichte auskennt. Schon im Jahr 1984 hatte die Autorin ihre Monographie „Carolinenstraße 35. Geschichte der Mädchenschule der Deutsch-Israelitischen Gemeinde in Hamburg 1884 – 1942“ publiziert; in den 70er Jahren war sie dort als Sprachheillehrerin tätig gewesen.

Ihre bislang nur einem kleinen Kreis Interessierter vertrauten Aufsätze, biographischen Porträts und Skizzen hat sie jetzt überzeugend neu zusammengeschmolzen. Und das in einem vorzüglichen Guss, denn es zeichnet die Autorin gegenüber so manchem akademischen Mitstreiter aus, dass sie ihre Archivrecherchen – Auszüge aus nüchternen Schulprotokollen und -berichten – um lebendige, zum Teil anekdotische Schilderungen des Schulalltags und seiner Protagonisten bereichern kann. Hier sind Randt ihre jahrelangen Kontakte, Korrespondenzen und Freundschaften mit ehemaligen Schülern und Lehrern der Talmud Tora Schule zugute gekommen.

Randts Engagement, vor allem aber ihre tiefe Einfühlung in so manches Schüler- und Lehrerschicksal prägen das Buch, das die Geschicke dieser ehrwürdigen Institution bis zur erzwungenen Schließung in der Nazi-Zeit dokumentiert. Randts Buch unterscheidet sich dabei wohltuend von geläufigen Schulchroniken und -Festschriften: Erinnerungen und Gedichte ehemaliger Schülerinnen und Schüler der Talmud Tora Schule ergänzen zum Beispiel das facettenreiche, großzügig illustrierte Kompendium.

Ein Anhang mit Lehrerbiographien, Zeittafel und umfassendem Literaturverzeichnis erhöht den Gebrauchswert dieses Buches, das den ermordeten Schülern und Lehrern der Schule gewidmet ist: Lebendig und respektvoll zugleich. Wilfried Weinke

Ursula Randt: „Die Talmud Tora Schule in Hamburg 1805 – 1942“, München/Hamburg, 2005, 184 S., 14,80 Euro.