Im Schatten von Zidane

Auch im WM-Qualifikationsspiel gegen die Schweiz gelingt Frankreich kein Sieg. Im Land des ehemaligen Welt- und Europameisters sorgt man sich nun sogar um die Deutschlandreise 2006

AUS PARIS RALF ITZEL

„Jetzt sind wir die Deutschen“, sagte Verteidiger Frank Leboeuf am späten Abend des 2. Juli 2000 in den Katakomben des Stadions De Kuip von Rotterdam. Die Nationalmannschaft Frankreichs hatte soeben jene Italiens durch einen Ausgleichstreffer in letzter Sekunde und ein goldenes Tor in der Verlängerung um den EM-Titel gebracht und einen Comeback-Triumph gelandet, den die Fußballwelt so bis dahin nur der DFB-Elf zugetraut hätte. Die Fachzeitschrift France Football fabulierte ein paar Tage später vom „Chromosom des Sieges“, das jetzt im Erbgut der eigenen Kicker angelegt sei. Knapp fünf Jahre danach hat es die genetische Masse der Blauen offenbar wieder verlassen. Die „Equipe Tricolore“ hat anscheinend das Gewinnen verlernt, sie schießt nicht mal mehr ein Tor. Die Partie gegen die Schweiz am Samstag endete 0:0, das dritte torlose Unentschieden im dritten Heimspiel der WM-Qualifikation. Tests dazugerechnet, ist es das sechste Remis in Frankreich in Folge. Weil in dieser Saison kein Auftritt in Paris mehr ansteht, bleibt die Auswahl dadurch erstmals seit 1931/32 eine ganze Saison lang ohne Erfolg auf eigenem Rasen.

„Es ist zum Verzweifeln“, klagt in großen Lettern die Sportzeitung L’Equipe und sorgt sich um die Teilnahme an der WM in Deutschland, schließlich stehen nach den Heimpartien nun die Reisen zu den direkten Konkurrenten Israel, Irland und wieder die Schweiz an. Und auswärts taten sich die Franzosen selbst gegen die Außenseiter Färöerinseln und Zypern schwer. „Das wird schon werden“, beruhigt Willy Sagnol ratlose Frager, „keine Panik, bleibt zuversichtlich!“ Auch der Verteidiger von Bayern München fand es zwar „etwas frustrierend“, wie die Kollegen reihenweise beste Chancen vergeudeten, dass diese aber überhaupt existierten, sei ein Grund zur Hoffnung: „Es gab diesmal Passstafetten, die man lange nicht gesehen hat.“ Spielerisch war es phasenweise tatsächlich ansprechend, was Frankreich bot, wenn auch noch nicht so brillant wie in der Vergangenheit. „Von unserer jungen Mannschaft darf man keine Wunderdinge erwarten“, meint Sagnol, schließlich „haben wir uns sechs Jahre auf einen einzigen Mann verlassen.“

Gemeint ist natürlich Zinedine Zidane, dessen langer Schatten ein gutes halbes Jahr nach dem Rücktritt weiterhin die Nachfolgegeneration überdeckt. Trainer Raymond Domenech, seit der verpatzten EM in Portugal im Amt, kann davon ebenfalls ein Liedchen singen: „Bis zum Anpfiff versteht ganz Frankreich, dass wir im Umbau sind, aber sobald das Spiel beginnt, ist alles vergessen und die Leute schreien nach Zidane, wenn mal zwei Pässe nicht ankommen.“

Fortschritte machte auch der Coach diesmal aus und verspricht: „Irgendwann werden wir das Netz wieder zum Zittern bringen.“ Zur Sicherung seines Arbeitsplatzes sollte das tunlichst schon am morgigen Mittwoch in Tel Aviv passieren, wenn Starangreifer Thierry Henry von Arsenal London wieder mitwirken soll, diesmal wegen einer Wadenverletzung fehlend. Zum Glück konnte sich am Samstag auch keiner der Konkurrenten einen Vorsprung erarbeiten, die nächsten Gegner Israel und Irland trennten sich ebenfalls unentschieden. „Ich will mich über dieses Szenario nicht beschweren“, sagt Domenech, und Jakob Kuhn drückt es noch hübscher aus: „Das habe ich den beiden Trainern gewünscht: nicht zu verlieren.“ Der Schweizer Coach war erleichtert und zum Spaßen aufgelegt nach diesem so kämpferisch wie glücklich eroberten Punkt bei der Nummer 2 der Weltrangliste. Als ein Journalist um „ein Wort zu den Jungen“ bat, fragte Kuhn mit spitzbübischem Lächeln nach: „Welche?“ – „Na, Senderos und Ziegler natürlich!“ – „Oh, sie haben also nicht von mir geredet.“ Der Mann ist 60. Auf die beiden Debütanten von den Londoner Vereinen Arsenal und Tottenham, 19 und 20 Jahre alt, war Kuhn stolz: „Sie haben gezeigt, dass sie Champions sind.“

Noch lange nach dem Schlusspfiff feierten die zwei mit den Kameraden und den knapp 10.000 angereisten Fans das Unentschieden wie einen Sieg. Die Franzosen unter den 80.000 im Stade de France waren hingegen schnell nach Hause gegangen. Seit neun Monaten warten sie nun schon auf einen Grund zum Jubeln. Damals im Juni siegte Frankreich 1:0 gegen die Ukraine. Torschütze war: Zinedine Zidane.