Blühe, Vaterland!

Der MDR praktizierte drei Wochen einen medialen mentalen „Aufbau Ost“ – zwecks Abbau westdeutscher Vorurteile, die auch den MDR betreffen

VON GUNNAR LEUE

Eine Schauspielertruppe aus dem Theater der Altmark Stendal (Sachsen-Anhalt) bewies im Dezember 2004 Mut, Innovation und Fantasie, als sie in Hannover „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ aufführte. Sie tat es nicht mit sieben, sondern mit vier Zwergen. Zwei der fehlenden Zwerge wurden von Puppen dargestellt, der dritte sei im Bergwerk geblieben wegen Überstunden, hieß es.

Die Theaterleute begründeten die Wichtelknappheit damit, dass man sich mehr als vier Zwerge nicht hätte leisten können und außerdem im Original von sieben gar keine Rede sei (Letzteres stimmt freilich nicht). Menschen, die Innovation, Mut, Mitmenschlichkeit und Fantasie beweisen, sind für MDR-Chefredakteur Wolfgang Kenntemich der starke Osten. Trotzdem tauchten die Schauspieler aus seinem Sendegebiet nicht in der Initiative auf, die fast den ganzen März über das MDR-Programm penetrierte. Das dürfte daran gelegen haben, dass die Altmärker bei ihrem westdeutschen Publikum gar nicht gut ankamen. Das war nämlich empört über so viel Innovation und Improvisation und hatte eher den Eindruck: Die Ossis bringen’s nicht, sondern versauen uns das schöne deutsche Kulturgut. So denken ja viele Westler über die Ostler. Nur, dass die gleich für den kompletten Niedergang des ganzen Landes verantwortlich gemacht werden. 58 Prozent glauben, dass im Osten dauerhaft nur noch Probleme blühen. Milliardengrab Ost. Dort wiederum blicken noch mehr Leute sorgenvoll in die Zukunft. Jammertal Ost.

Gegen diese Negativstimmung sendete der MDR mit seiner Initiative „Der starke Osten“ fast den ganzen März über konzentriert an. Mission O nannte sich das Projekt des Heimatkanals, der mit der ganzen Kraft des positiven Beispiels zeigen wollte, dass sein Sendegebiet mitnichten im Jammertal liegt. In zahlreichen Trailern, Berichten, Reportagen und Talkrunden wurden deshalb Erfolge und erfolgreiche Menschen im Osten vorgestellt. MDR-Chef Kenntemich, der selbst aus dem Westen stammt, wollte Mission O als eine Art Gegenprogramm gegen Vorurteile verstanden wissen.

In der Tat herrscht an Vorurteilen weiterhin kein Mangel, weshalb man deren Zurechtstutzen ein absolut hehres Anliegen ist. Ob dabei eine Kampagne hilfreich ist, darf man bezweifeln. Aber okay, wenn sie denn gut gemacht ist.

Leider lieferte Mission O eher eine Bestätigung vieler Vorurteile gegenüber der Drei-Länder-Anstalt, die mit ihrem Fernsehprogramm traditionell wenig innovativ und mutig auftritt. Das Sofortprogramm Mentalaufbau Osten kam vornehmlich im Super-Illu-Stil daher: Seht her, unser Land ist schön, unsere Menschen sind toll. Der Missionssender zeigte unter dem O-Logo, was er immer am liebsten zeigt: ein Kessel buntes Ostdeutschland.

Da zog der Star-Moderator „Per Anhalter durch Mitteldeutschland“, um mit Einheimischen belanglos zu plaudern oder Gartenzwerge in Gräfenroda zu treffen. Eine andere Reporterin machte sich in die Spur, um zu beweisen, dass ostdeutsche Wintersportorte genauso schön sind wie die im Westen. Und dass im Osten gute Menschen leben, auch dafür finden sich etliche Beispiele. Einer von ihnen hat ein von Brandverletzungen entstelltes Mädchen aus einem rumänischem Heim in seine Familie geholt. Dank vieler spendenfinanzierter Operationen ist sie nun auf dem Weg in ein normales Leben. Eine bewegende Geschichte – aber ist sie spezifisch ostdeutsch? Es ist ein Mix aus Beliebigkeit und boulevardesk präsentiertem Vorzeige-Ostlertum, mit dem der MDR die Zwangskollektivierung der ostdeutschen Zuschauer (immerhin die Hauptzielgruppe) versucht.

Doch das Gleichheitsgebot für das Seelen- und sonstige Leben der Ostdeutschen stimmt längst nicht mehr. Es war Sachsens früherer Ministerpräsident Kurt Biedenkopf, der in einer Talkrunde darauf hinwies, dass es den Osten nicht gibt.

Das wundersame Missions-TV wurde ergänzt durch eine originelle Form der Zuschauerbeteiligung. Per MMS konnten alle Mitteldeutschen zeigen, wie sie sich für den Osten stark machen. Einfach ein Foto schicken und den Satz vervollständigen: „MDR, ich mache mich für den Osten stark, weil …“ Als Gewinne winkten Handys. Die werden zwar nicht in Ostdeutschland hergestellt, aber zumindest macht sich der MDR so für den Osten als Absatzgebiet stark.