Wer ausreist, darf nicht „Bäh“ sagen

Ein Kameramann aus dem Sauerland zeigt sich seit über zehn Jahren mit rausgestreckter Zunge in seinen Ausweispapieren. Als das Bundesinnenministerium davon erfährt, verweigert man ihm den Reisepass. Dagegen zieht der Mann nun vor Gericht

VON BARBARA BOLLWAHN

Beim Arzt muss man die Zunge zeigen – notgedrungen. Alexander Mechtold streckt jedem freiwillig seine Zunge entgegen. Seit über zehn Jahren lässt sich der 31-jährige Kameramann für Ausweispapiere in Einstein-Manier ablichten. Die Behörden in Mühlheim an der Ruhr, wo er viele Jahre lebte, hatten dies beim Personalausweis und Reisepass akzeptiert. Auch der Hochsauerlandkreis in Nordrhein-Westfalen stellte ihm einen Führerschein mit ausgestreckter Zunge aus. Nun verweigert ihm diese Behörde einen zweiten Reisepass.

Im vergangenen Jahr zog Mechtold ins Sauerland zurück und beantragte in Arnsberg einen zweiten Reisepass. Den braucht er für seine vielen Reisen ins Ausland. Dem Antrag legte er das übliche Foto mit rausgestreckter Zunge bei. Zuerst lehnte die Verwaltung ab. Als Mechtold nachfragte, prüfte die Behörde erneut und bewilligte schließlich den Pass.

Doch nach drei Tagen zog sie die Zusage kommentarlos zurück. Der Hochsauerlandkreis hatte sich nämlich beim Bundesinnenministerium in Berlin rückversichert, wo man nun erst aufmerkte. Mechtold wurde von der Stadtverwaltung per Ordnungsverfügung aufgefordert, seinen ersten Reisepass und seinen alten Personalausweis abzugeben, sonst drohen ihm pro Ausweispapier 500 Euro Geldstrafe. Mechtold zeigte den Behörden erneut die Zunge – und legte Widerspruch ein. Nachdem dieser abgelehnt wurde, reichte er vor dem Verwaltungsgericht Klage gegen die Stadtverwaltung ein.

Offiziell äußert sich die Stadtverwaltung nicht zu dem schwebenden Verfahren. Inoffiziell sagt eine Mitarbeiterin zur taz: „Wir wollten den Pass ausstellen, aber es gab eine Order von oben.“

Das erste Mal posierte Mechtold mit ausgestreckter Zunge, als er 1991 ein Passbild für die Berufsschule im Rahmen seiner Fotografenausbildung brauchte. Weil ihm Freunde zur „Einschulung“ eine Schultüte geschenkt hatten, fand er es passend, sich mit der Schultüte und ausgestreckter Zunge ablichten zu lassen. „So ist das erste Zungenfoto entstanden“, sagt Mechtold zur taz, „und dann hat es nach und nach Einzug gehalten in behördliche Dokumente.“

Das Bundesinnenministerium verweist auf § 11 des Passgesetzes. „Ein Pass ist ungültig, wenn er eine einwandfreie Feststellung der Identität des Passinhabers nicht zulässt oder verändert worden ist“, heißt es da. „Unnatürliche Mimik oder Gestik ermöglichen keine einwandfreie Identitätsfeststellung“, sagt ein Sprecher des Ministeriums gegenüber der taz. Fotos mit rausgestreckter Zunge seien zudem „fast eine Beamtenbeleidigung“.

Mechtolds Erfahrungen im Nahen Osten, in Europa und den USA belegen das Gegenteil. „Es gab nie Probleme bei der Identitätsfeststellung“, sagt er. „Ich hatte durchgängig nur positive Reaktionen: Stutzen, Lächeln, gute Gespräche.“ Mit dem Zungenfoto, schwärmt er, komme er schnell mit Menschen in Kontakt. Seine einzig negative Erfahrung: „Wenn gar nicht reagiert wird.“

Mechtold beantwortet die Frage, warum er an dem in der Pubertät entstandenen Motiv festhalte, mit einer Gegenfrage. „Warum nicht?“ Erst durch die Streitigkeiten mit den Behörden seien die Fotos zu einer „Unnormalität“ geworden. Zudem verweist er auf Heino, der in seinen Ausweispapieren mit seinem Markenzeichen, der dunklen Brille, posiert. Zu Heino meint der Sprecher des Bundesinnenministeriums: „Die Brille dient bei Heino zur Identitätsfeststellung.“ Wenn er sie abnehme, sei er nicht zu erkennen.

Der Anwalt von Mechtold, Hans-Georg Stein, findet diese Argumentation absurd und ist zuversichtlich, den Rechtsstreit zu gewinnen. „Wegen fehlender Regelungen im Gesetz muss ein Bild im Ausweis die Funktion der Erkennbarkeit erfüllen“, sagt er. Die sei bei seinem Mandanten gegeben, und deshalb müsse ihm der Pass ausgestellt werden. Derzeit ist noch unklar, wann das Verwaltungsgericht Arnsberg über die Klage entscheidet. „Das hängt davon ab, ob die Kammer den Fall kurzfristig durchhaut oder Stellungnahmen einholt“, sagt ein Gerichtssprecher. Fest steht für den Sprecher nur: „Der Fall ist skurril und einzigartig.“