piwik no script img

Wie glücklich macht die Natur?

AFFE MENSCH Die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften beratschlagte über die Evolution des menschlichen Sozialverhaltens

Der Streit um die Natur und Kultur des Menschen scheint in den Sozialwissenschaften zu keiner Synthese zu finden, die einen verträglichen Einsatz sowohl naturwissenschaftlicher wie sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse neben- oder miteinander möglich macht. Der Normalfall ist ein im besten Fall kritisches, in der Regel aber ignorantes Umgehen mit biologischen Theorien in der Soziologie beziehungsweise in der Umkehrung eine Biologisierung der Gesellschaft ohne die Anwendung der historisch-kritischen Werkzeuge, wie sie etwa die Wissenschaftsgeschichte hervorgebracht hat.

Und wenn man Peter Weingart am vergangenen Dienstag bei einem von ihm mitorganisierten Forum zur „Evolution des menschlichen Sozialverhaltens“ der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften richtig verstanden hat, befürchtet er in dieser Kampfkonstellation das Verschwinden von historischer Begriffs- und Methodenkritik aus der Soziologie zugunsten eines bloß empirischen Naturalismus ohne Reflexion.

Weingart, der in Bielefeld als Professor für Soziologie und Wissenschaftsforschung lehrt, wird wissen, wovon er spricht. Im Umfeld seines Instituts sind die hierzulande gründlichsten Untersuchungen entstanden, die den vertrackten institutionellen und theoretischen Wandel beschreiben, der in England zur Durchsetzung evolutionistischer Theorien als allein gültigem Wissenschaftsparadigma vor, um und nach Charles Darwin führten. Weingart blickte also erwartungsgemäß skeptisch auf biogenetische Erklärungen von Gesellschaften und ihrer Entwicklung. Das tat Weingart dann auch am Beispiel des Humangenetikers Luigi Cavalli-Sforza und des ameisenforschenden Soziobiologen Edmund Wilson.

Cavalli-Sforza, der etwa technische Revolutionen mit der Geografie der Gene und Sprachen mit Genen in Analogie setzt, und Wilson, der alle Bewegungen menschlicher Gesellschaften aus der Biologie erklären zu können meint, kommen am Ende ganz ohne Soziologie aus, eher soll die Soziologie in der Soziobiologie absorbiert werden. Ein Prozess, der nicht einseitig Biologen in die Schuhe geschoben werden kann.

Weingarts defensive Kritik an den Biologisierungen von Gesellschaft hat auch mit seiner Kenntnis von deren Entstehung zu tun. Es war einer der Begründer der Soziologie, jener Herbert Spencer, von dem Darwin die Formel vom „survival of the fittest“ übernahm, der die Vorstellung der Gesellschaft als natürlichem Organismus am nachhaltigsten prägte. Und auch wenn Weingart anmerkte, dass die Ideologien heute Spencers Teleologie nicht mehr stützen, nach der am Ende, wenn man die „Zucht der Natur“ nur machen lässt, eine glückliche Gesellschaft glücklicher Individuen stehen wird, erledigt das Spencer einem leider nicht.

Die einzige zurzeit weit und breit herrschende Ideologie, die liberale, verspricht andauernd nichts anderes als das ewige Glück aller durch hemmungsloses Geldverdienen weniger. Und deshalb muss hier zum Schluss das Lob des Bildungsforschers Gerd Gigerenzer stehen. Gigerenzer, Direktor am MPI für Bildungsforschung und vor allem durch seine auch populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen zu „Bauchentscheidungen“ bekannt, lieferte eine lustige Generalabrechnung mit allen mathematischen wie statistischen Optimierungs- und Optimalitätsmodellen. Damit konnte er zeigen, wie man Biologie, Ökonomie und Soziologie einerseits kritisch erledigen und andererseits zusammenführen kann.

Kein Baseballspieler, der einen auf ihn zufliegenden Ball treffen wolle, stelle dazu komplizierte Berechnungen der Flugbahn an. Das Einzige, was der Spieler tue, sei, seine Augen auf Höhe der Flugbahn des Balles zu halten, um dann irgendwann zuzuschlagen. Und das könnten auch Tiere und Kinder, ohne jede Mathematik. CORD RIECHELMANN

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen