Hardcore-Eddie macht nur seinen Job

STRASSENKÜNSTLER Bei Wind und Wetter zeigen Skateboardfahrer und Breakdancer auf dem Breitscheidplatz ihr Können. Das ist kein Spaß, sondern harte Arbeit

„Im Winter ist es hart, nur von den Shows zu leben. Aber im Sommer verdienen wir so gut wie ein Arzt“

VON ADRIAN PICKSHAUS

Eddie macht trocken. Er hat einen überdimensionalen Abzieher auf einen Besenstil gesteckt. Damit versucht er den Steinplatten des Breitscheidplatzes in Charlottenburg die Feuchtigkeit zu nehmen. Eddie mag das Wasser nicht, Nässe ist sein größter Feind, sie macht ihn arbeitslos. Eddie, 47, Kalifornier im Berliner Exil, ist Straßenkünstler. Skateboardartist.

Seit 15 Jahren ist das acht auf acht Meter große Viereck, das der Amerikaner mit grellgrüner Kreide auf den Boden gemalt hat, Eddies Bühne. Die Manege. Der Ring. Jeden Tag kommt Eddie hierher zur Arbeit, wie er es nennt. Meist so gegen eins, wenn die Touristengruppen den Platz zwischen Ku’damm, Gedächtniskirche und Weltkugelbrunnen bevölkern.

Pirouetten und Flip-Tricks

Es ist bewölkt und schwül, die Luft schmeckt nach Abgasen. „Egal, es ist trocken und nicht so kalt wie die letzten Tage. Die Show kann losgehen“, sagt Eddie mit Kaugummi-Akzent und legt den Schrubber beiseite. In abgewetzten Skateschuhen, grauen Jeans und einer Daunenweste über dem schwarzen Kapuzenpullover geht er zu einer großen Holzbox. „Die hab ich selbst gebaut, hält schon vier Jahre jetzt.“ Seine braunen Augen blitzen unter dem schweißgebleichten Schirm einer Baseballkappe. „Eddie“ steht auf der Mütze, der Schriftzug ruht auf einem stilisierten Skateboard.

Eddies Wunderkiste ist knapp einen Meter lang, einen halben hoch, einen halben tief. Ihr schwarz lackiertes Holz ist an allen Ecken mit goldenen Kantenschonern beschlagen. Aus der Vorderseite ragen mächtige Boxen, dazwischen die Bedienleiste eines Autoradios. Ein geschreinerter Ghettoblaster, eine 400 Watt starke Höllenmaschine. Eddie öffnet den Deckel der Truhe und holt drei kleine Skateboards heraus. Schmale Bretter mit großen, weichen Rollen. Freestyleboards, bestens geeignet für schnelle Pirouetten und Flip-Tricks.

Eddie bekam sein erstes Skateboard 1966. Da war er vier. Er ist ein Arbeiterkind, sein Vater schuftete in einer Werft in San Diego. Eddie interessierte sich bald mehr für Surfen, Skaten und Mädchen als für die Schule. Ende der 1970er ging er zur Armee. „Nicht weil ich Patriot war. Ich brauchte einen Job, musste irgendwas machen.“ Er wurde in Berlin stationiert, bis 1983 stand er an der Frontlinie des Kalten Krieges. Als Ronald Reagan die Sowjetunion das Reich des Bösen nannte, soff Eddie Wodka mit Kreuzberger Hausbesetzern.

Eddie verliebte sich erst in Berlin, dann in eine Berlinerin. Er kehrte zurück in die Staaten, beendete den Militärdienst, regelte Dinge. 1985 war Eddie wieder an der Spree und heiratete. Er skatete mehr, in einer alten Lagerhalle am Schlesischen Tor stand eine fette Halfpipe, eine U-förmige Holzröhre. Dort traf Eddie auf Kalle Richter. Richter fuhr keine großen Rampen, er fuhr Freestyle. Eine Art Tanz auf dem Brett, Drehungen, Wendungen, Figuren, abgestimmt auf Musik. Ein wenig wie Eiskunstlauf.

Eddie testet die Musik seiner Kür. Laute Breakbeats donnern über den Breitscheidplatz, übertönen den Verkehrslärm. Vier junge Männer stoßen hinzu, begrüßen Eddie mit einem komplizierten Handshake. „Das ist meine B-Town Family“, sagt Eddie. Durch sein vom Wetter gegerbtes Gesicht arbeitet sich ein Lächeln hindurch, bis es karamellfarbene Schneidezähne freilegt. Die vier Breakdancer machen sich warm, auch Eddie streckt und dehnt sich. Moe, Rudi, Wasili und Lukas sind alle Anfang 20. Sie tragen bunte Kapuzenpullover, Nikes, weite Jeans oder Jogginghosen, HipHop-Style. „Ein paar Mal in der Woche tanzen wir hier Shows. Im Sommer jeden Tag, klar. Aber wirklich immer hier ist nur Eddie. Der ist echt Hardcore“, sagt Wasili, Sohn russischer Spätaussiedler.

Der Amerikaner gibt jetzt richtig Gas, die vier Tänzer klatschen hinter seinem Rücken. Eddie rennt im Quadrat hin und her, herrscht die Passanten an: „Die Show beginnt, kommt her! Berlin Streetculture!“ Eine Uptempo-Version der Mission-Impossible-Titelmelodie fegt über den Platz. Als sich rund 40 Passanten entlang dem Viereck postiert haben, springt Eddie hinter die Tänzer zurück. Dann ziehen Rudi und Wasili mit ihren Händen einen unsichtbaren Vorhang beiseite.

Eddie steht im Handstand auf seinem Brett, rollt schwungvoll in die Manege und dreht einen perfekten Halbkreis. Er zieht seine Beine zurück aufs Board, steigt ab, tritt auf das hintere Ende. Das Brett schnellt hoch in seine Hand. Eddie lässt es rotieren, dreht es blitzschnell hin und her, vor der Brust, hinterm Rücken. Die Menge, mindestens 80 Zuschauer klatscht, jubelt. Eine japanische Touristin reißt die Augen auf, formt ihren Mund zu einem großen O. Ihr Mann hält alles mit dem Camcorder fest. Die Tänzer sind Rampensäue, sie zeigen die spektakulärsten Spielarten des Breakdance. Lukas macht den „Turtle“, die Schildkröte, dreht sich auf einer Hand im Kreis, immer schneller, immer schneller. Wasili zeigt „Pop Locking“, er imitiert Roboterbewegungen, bewegt sich in eleganter Zeitlupe. Als er sein T-Shirt hochzieht und einen perfekten Waschbrettbauch freilegt, kichert ein türkisches Mädchen. Tänzer und Skater wechseln sich minutenlang ab, dann endet die Musik. Die „B-Town Family“ tritt vor, nimmt eine Dusche im aufbrandenden Beifall. Rudi geht mit einer Mütze herum, sammelt die Spenden der Zuschauer ein. Dann verflüchtigt sich die Menge.

Eddie sitzt auf seiner Boombox. Er wischt sich den Schweiß von der Stirn, dreht Kringel in sein schütteres braunes Haar und zählt Kleingeld. Über Geld möchte Eddie nicht reden. Wasili schon. „Im Winter ist es echt hart, nur von den Shows zu leben. Geht eigentlich gar nicht. Ist zu kalt, und zu wenig Leute sind draußen. Aber im Sommer verdienen wir so gut wie ein Arzt.“

Eddie arbeitet nebenbei in einem Klamottenladen. Eine Familie muss er nicht versorgen, seine Ehe wurde geschieden: „Sie ist alt geworden, ich bin jung geblieben. Das hat dann nicht mehr gepasst.“ Wehmut schleicht sich in seinen Blick. „Man könnte auch sagen, sie wollte einfach nicht mehr mit einem Kindskopf zusammen sein.“ Eddie wohnt in einer Altherren-WG in Schöneberg, zusammen mit Günter, 44, auch Skater. Wie lange er noch auf dem Rollbrett stehen wird, kann Eddie nicht sagen. Einen Plan B gibt es nicht. „Obwohl: Ich könnte Drehorgel spielen.“

Um vier macht Eddie Schluss. Drei Shows ist er gefahren, das ist nicht viel. Wenigstens gab es keinen Stress. Die Jungs vom Ordnungsamt kennen Eddie, mit ihnen ist er cool. Ärger gibt es öfters mit den Junkies. „Aber dafür hab ich ja die da“, sagt Eddie und zeigt auf die Skateboards, die jetzt wieder friedlich in ihrer Kiste ruhen. Er klappt den Deckel zu, stellt die Box auf ein viertes Rollbrett, schiebt sie neben sich her, geht weg. An einer roten Ampel bleibt er stehen und wirft einen Blick in den Himmel.

Hoffentlich regnet es morgen nicht.