Nur Fahren ist schöner

Autofahrern droht wegen erhöhter Feinstaubbelastung ein Fahrverbot in Städten. Kein Wunder: Freiwillig verzichtet in Deutschland keiner auf den eigenen Wagen – es geht um Potenz und Prestige

VON CLEMENS NIEDENTHAL

Der Maximilianstraße in München würde es gar nicht schlecht zu Gesicht stehen. Einmal ein paar Tage ohne all die Mini Cooper und die BMW Z4, die Porsche Cayenne und die New Beetle Cabrio, die Mercedes M-Klasse und die Audi A8. Für ein paar Tage müsste sich die Hautevolee der bayrischen Landeshauptstadt einzig auf ihre Schoßhündchen und Gucci-Taschen beschränken, wenn es darum geht, die eigene Klasse spazieren zu führen. Kein das Ego schmeichelnder Ledersitz mehr unter dem Hintern. Und das Maserati Coupé wartet draußen am Starnberger See. Jetzt droht das Fahrverbot.

Das Verbot – jenes letztgültige Instrument der bundesdeutschen Hausmeisterseele. Ein gelbes, nein, gleich ein rotes Schild aufgestellt. Und schon wissen alle, dass das Spielen von nun an verboten ist. Zumindest so lange, bis der Hausmeister seine Schilder wieder eingepackt hat. Das wiederum könnte ziemlich lange dauern. Denn seit Ostersonntag ist München nicht nur die schmutzigste deutsche Stadt – zumindest was die Belastung der Luft mit Feinstaub, also etwa den leidigen Rußpartikeln angeht.

Die Landeshauptstadt verstößt nun auch gegen geltendes EU-Recht, wurde der gültige Grenzwert von 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft nun schon zum 36. Mal überschritten. Nur 35 feinstaubreiche Tage sind gestattet – im Jahr wohlgemerkt. Auch in Düsseldorf, Augsburg, Dortmund und Frankfurt am Main droht nach Angaben des Umweltbundesamtes noch in diesem Monate ein Überschreiten dieser Grenze.

Nun wird das generelle Fahrverbot in einem Land, in dem der Personenkraftwagen nicht nur für Potenz steht, sondern immer so etwas wie die Zierkirsche auf einer Sahnetorte namens Sozialer Marktwirtschaft war, wohl bis auf weiteres eher Drohkulisse bleiben. Letztlich beweist doch gerade diese Drohgebärde an sich, wie weit entfernt man noch von einer konstruktiven Debatte um den Umweltfaktor Automobil ist. Und wie wenig die Bundesrepublik dabei auf den ganz individuellen Kraftwagenlenker vertraut.

Der – so bekommt er allen Ortens vermittelt – weiß mit der ihm zur Verfügung gestellten Ressource Automobil ohnehin nicht vernünftig umzugehen. Weshalb der ihn umgebenden Umwelt einzig mit einem generellen Fahrverbot zu helfen wäre.

Oder zumindest einem Fahrverbot für alle, denen ihr ökonomisches Kapital nur den Gang zum Gebrauchtwagenhändler erlaubt. Und die so gegenwärtig mit den Versäumnissen spazieren fahren, die die Automobilkonzerne noch vor wenigen Jahren veranlassten, etwa Wagen zu produzieren, die gerade einmal die Euro2-Norm erfüllt haben. Mit dem Rußpartikelfilter wird es einmal genauso kommen. Die Dummen bleiben die, die sich die von der Industrie lustlos bis widerwillig eingeführten Helfershelfer nicht leisten können. Mit dem Katalysator verhielt es sich ja schon einmal ganz ähnlich.

„Los Angeles“, so hat es der Designer Otl Aicher einmal gesagt „wurde mit allen Flüchen einer Autostadt beladen.“ Zu viele Menschen in zu vielen Automobilen fahren auf breiten Schneisen durch einen urbanen Raum, dem der öffentliche Personennahverkehr weitgehend abgewöhnt wurde. Automobile Ich-Maschinen wähnte Aicher in diesem gedrängten Ambiente. Getriebene Menschen in permanenten Positionsgefechten, Stoßstange an Stoßstange, das Ego im Lenkrad verbissen.

Was er hingegen vorfand, war ein automobiler Kollektivkörper, der sich einem Organismus gleich in kollektiv akzeptierten Bahnen bewegte. In dem jeder Autofahrer vernünftig reagierte, weil alles andere eben unvernünftig gewesen wäre.

Gut zwanzig Jahre nach diesen Feststellungen Otl Aichers reagiert das automobile Los Angeles ähnlich kollektiv auf den klimatischen Kollaps, der der Megacity zwischen Wüste und Ozean immer wieder droht. Ausgerechnet einem Ort, an dem das Auto längst als organische Erweiterung des eigenen Körpers verstanden wird, bleibt es zunehmend in der Garage, sobald der Organismus Großstadt zu röcheln beginnt. Grund dafür ist nicht einmal ein generelles Fahrverbot. Sondern etwa das Angebot, Bus- und Taxispuren auch für Fahrgemeinschaften zugänglich zu machen.

Vielleicht wäre es auch hierzulande eine gute Idee, dem Autofahrer ein vernünftiges Wesen zu unterstellen. Und – im Umkehrschluss – sicherzustellen, dass dieser auch gemäß seiner Vernunft handeln kann. Ein Fahrverbot aber entlastet von solch individuellen Überlegungen. Dann kann die Industrie weiter auf Partikelfilter verzichten und der Wagenlenker morgens zum Brötchenholen rußen.