frisches flimmern
: Lieber das Buch lesen

„Vanity Fair“ ist der geile Beweis eines chauvinistischen Sprichworts: Intelligente Prostituierte neigen dazu, Kurtisanen zu werden. (Vom sozialen Aufstieg nach Ansicht des 18.-Jahrhundert Mannes). Um bessere Chancen zu haben hat Regisseurin Mira Nair nur berühmte literarische Werke-Mörder gewählt, wie Gabriel Byrne („The man in the iron mask“ – Alexandre Dumas inspirierte Hollywood- Suppe) und Reese Whiterspoon (die schockierte Jungfrau des unbeschreiblichen “Gefährliche Liebschaft“-Remake „Eiskalte Engel“). „Vanity Fair“ ist die erste Adaptation eines Buches von Thackeray seit Kubricks „Barry Lyndon“. Der Film ist eine Meisterleistung des Genres, ein kompaktes literarisches Werk um etwa hundert unsinnige Minuten zu reduzieren. Dekolletee-Amateure werden sich auf Reese Whiterspoons Leistungen sicher freuen. Man bemerkt, dass Regisseure selten Schundbücher anfassen: So hat beispielsweise noch niemand einen Film über „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ (das schreckliche lange goethische Abführmittel) gedreht. Deshalb muss man nach den inneren Gedankengänge der Regisseur fragen: Sagt ihr hypertrophiertes Ego, dass sie nur erstklassige Stücke anpacken sollen, oder sind sie beauftragt das Volk durch einfache Meisterwerkadaptionen zu erziehen? Ist ihr Ziel, jedem zu ermöglichen, schamlos bei wenigstens fünf klassische Werken mit zu reden? Man braucht nur einige Textproduktionen von Gymnasiasten zu lesen, um zu verstehen, dass die (schlechte) Kopie immer öfter das Original in trägen Gehirnen ersetzt. Was ist mit der guten alten Zeit geschehen, wo jeder ausgemachte Esel, die Pflicht hatte, in seiner Schulzeit wenigstens ein Buch zu lesen? Wird „Harry Potter“ bald ins Abitur-Programm eingeführt aufgenommen? Hoffentlich ist Ignaz J. Reilly nur ein Fictionsfigur, sonst würde er sicher an einem Herzinfarkt sterben. So viele Beeinträchtigungen des Abstands und guten Geschmacks könnte er sicher nicht ertragen. Aber genug abgeschweift und zurück zu „ Vanity Fair“. Becky ist eine Mischung zwischen Juliette in Sades „Justine oder Vom Missgeschick der Tugend“ (Das heißt, die Untugend ausnutzen, um ihre Ziele zu erreichen) und Jane Eyre (armes Waisenmädchen, das als Gouvernante arbeitet,und wegen ihrer Schönheit und Nettigkeit beneidet wird). Sie heiratet heimlich einen reichen Mann, und wird dafür von der Gesellschaft total abgelehnt. Bald zieht ihr Mann in den Krieg. Sobald er weg ist, bietet ihr der Marquis von Steyne an, sie zu unterstützen und ihre Träume auszuleben. Doch ist der Preis dafür nicht gerade gering. Becky ist schwanger, und wünscht ihrem Kind nur das Beste. Und so zögert sie. Soll sie ein tugendhaftes, liebesvolles Leben führen oder ist sie auf soziale Rache aus? Wie wird sie sich entscheiden? Der einfachste Weg, das herauszubekommen ist immer noch – das Buch zu lesen.

HÉLÉNE WANYOU