Das Land hofft auf neue Energie

Die Landesregierung will NRW wieder als Energieland Nr. 1 etablieren. Helfen soll dabei erneuerbare Versorgungstechnik. Der Verband der Biodieselhersteller rechnet damit, dass im Jahr 2006 zwei Millionen Tonnen Biodiesel produziert werden

VON ULLA JASPER

Als der Preis für ein Barrel leichtes US-Öl am 28. September 2004 erstmals die Schwelle von 50 US-Dollar überstieg, überschlugen sich die Nachrichtenagenturen und Analysten mit Schreckensmeldungen, düsterste Prognosen für die Weltwirtschaft wurden gezeichnet.

Doch während sich die meisten Verbraucher spätestens an der Tankstelle darüber ärgern, gibt es auch Menschen, die der hohe Ölpreis freut: all diejenigen, die ihren Lebensunterhalt damit verdienen, Kraftstoffe aus erneuerbaren Energien zu produzieren. Die Fachagentur für erneuerbare Energien rechnet damit, dass deutschlandweit bis zum Jahr 2020 rund 175.000 Arbeitsplätze in der Produktion von Biotreibstoffen entstehen, vor allem im ländlichen Bereich. Nach dem absehbaren Ende der nordrhein-westfälischen Kohle könnte hierin langfristig ein neuer Zukunftsmarkt für den Energiesektor liegen: „Es geht um Zukunftstechnologien, die die Innovationskraft Nordrhein-Westfalens im Energie- und Chemiesektor abermals beweisen werden“, erklärte Infrastruktur- und Energieminister Axel Horstmann (SPD). Gerade an Rhein und Ruhr könne einem zukunftsweisenden und sicheren Energiemix ein Schub gegeben werden.

Im Umweltministerium betont man insbesondere die positiven ökologischen Effekte der alternativen Energien: „Mit dem Ausbau der Bioenergien in ihren unterschiedlichen Nutzungsformen werden wir maßgeblich dazu beitragen, die Klimaschutzziele zu erfüllen, Umweltbelastungen durch Erdölgewinnung und -Transport zu reduzieren und den Anteil der erneuerbaren Energien deutlich zu steigern“, erklärt Ministerin Bärbel Höhn (Grüne).

Daneben erhofft sie sich insbesondere für die Landwirtschaft das Entstehen eines zukunftsfähigen neuen Marktes durch eine steigende Nachfrage nach Kraftstoffen aus erneuerbaren Energien: Sie plädiert seit langem dafür, dass sich die Landwirte weiterentwickeln müssten – weg vom traditionellen Bauern, hin zum Energiewirt, der auf seinen Ackerflächen Pflanzen wie Zuckerrüben und Raps anbauen oder aus Biomasse Energie herstellt. „In keinem anderen Sektor wird es in diesem Jahr für Landwirte mehr Wachstum, mehr Investitionen und mehr Einkommenschancen geben“, so Höhn. Die Devise müsse lauten „Weg vom Öl!“, um gerade im Verkehrsbereich nicht länger zu fast 100 Prozent auf Mineralöl angewiesen zu sein. Mit dem Projekt „4 mal 25“ strebt die Landesregierung bis 2020 an, jeweils 25 Prozent der Stromversorgung, der Wärmeversorgung, der Kraftstoffproduktion und der Produktion stofflicher Erdölprodukte, zum Beispiel Kunststoffe, durch regenerative Energien und nachwachsende Rohstoffe zu ersetzen.

Auf der Suche nach dem Wirtschaftsaufschwung hat also auch die Landesregierung die moderne Energiegewinnung entdeckt – und das „Kompetenz-Netzwerk Kraftstoffe der Zukunft“ ins Leben gerufen. Neben der „Bündelung von Kompetenz“ sollen hiermit vor allem Programme und Modellprojekte des selbst ernannten „Energielandes Nr. 1“ Landes gefördert und miteinander vernetzt werden. Und die Biokraftstoff-Offensive zeigt erste Wirkung: Von den bundesweit 550 Erdgastankstellen befinden sich 110 in Nordrhein-Westfalen.

Mit ihrer Initiative folgt die Landesregierung den Vorgaben der EU-Kommission. Die hatte im Weißbuch „Die europäische Verkehrspolitik bis 2010“ gefordert, dass Biokraftstoffe bis zum Jahr 2010 einen Marktanteil von sechs Prozent erreichen sollten.

Sehr zur Freude der Biokraftstoffproduzenten. Der Verband deutscher Biodieselhersteller geht davon aus, dass in Deutschland ab dem nächsten Jahr zwei Millionen Tonnen Biodiesel pro Jahr produziert werden können. „Wichtigster Absatzmarkt sind zurzeit Speditionen und Fuhrparkunternehmer, von denen viele Biodiesel als Kraftstoff in Reinform anwenden“, erklärt Karin Retzlaff. Die Mineralölsteuerbefreiung biogener Kraftstoffe macht Biodiesel und Co. jedoch auch für Mineralölkonzerne attraktiv: So werden schon heute bis zu fünf Prozent Biodiesel den herkömmlichen Dieselkraftstoffen beigemischt. „Es ist politisch gewollt, dass Biodiesel und andere biogene Kraftstoffe zum Wachstumsmarkt werden“, so Retzlaff. Auf diese Weise könne man die Umweltbelastung ebenso minimieren wie die Abhängigkeit vom Mineralöl. „Und man schafft neue Absatzmärkte für die heimische Landwirtschaft.“

Das Bundesumweltamt befürchtet jedoch, dass die Produktion von Biodiesel langfristig begrenzt ist, weil der heimische Anbau von Raps, dem Basisstoff, an Grenzen stößt. Das „tatsächliche Potential von Biodiesel“ liege nur bei ein bis zwei Prozent der Gesamtdieselmenge, so das Amt. Das Argument will Retzlaff so jedoch nicht gelten lassen: „Zwar wird Biodiesel bisher fast ausschließlich aus Raps hergestellt, doch auch andere Rohstoffe können verwendet werden.“ Selbst das Frittierfett aus Fastfood-Buden sei als Rohstoff denkbar. „Man muss dann nur die Pommesreste rausfiltern.“