Der Faktor Königsblau

Kanzler Gerhard Schröder wünscht Schalke 04 die Meisterschaft. Denn er will Kanzler bleiben

VON ROBIN ALEXANDER

Das war ein Coup nach dem Geschmack Gerhard Schröders: Die Weltmeisterschaft wurde ausgerechnet zum Wahljahr 2006 ins eigene Land geholt. Dann ist Kritik nicht mehr erlaubt, denn Deutschland muss im hellsten Licht erstrahlen. Und es wäre doch gelacht, wenn nicht auch die Bundesregierung ein wenig mitglänzen könnte. Beim Fußball kann dem ehemaligen Mittelstürmer „Acker“ sowieso keiner das Wasser reichen. Schon gar nicht Angela Merkel, die Frau. Und mit dem Propaganda-Projekt „1. FC Deutschland 06“ gelang es sogar, die sonst notorisch mäkelnden Wirtschaftsverbände ins Boot zu holen.

Der Plan, mit Fußball die Wahlen zu gewinnen, war gut. Nur leider ist es die falsche Wahl. Und der falsche Wettbewerb. Das Schicksal ereilt Rot-Grün nämlich nicht erst 2006 nach der WM, sondern schon am 22. Mai 2005 – bei der Landtagswahl in NRW, dem größten Bundesland. Einen Tag davor, am 21. Mai, wird die deutsche Meisterschaft entschieden. Und Meister wird – vielleicht – der FC Schalke 04, der größte Fußballverein in NRW, zurzeit punktgleich mit Spitzenreiter Bayern München. Daran kommt auch der Kanzler nicht mehr vorbei: „Ich würde es den Schalkern gönnen“, gesteht er heute in der Zeit.

Die Frage, wem eine Schalker Meisterschaft politisch nutzt, treibt die Strategen von NRW-CDU und NRW-SPD seit Wochen um. Einfach zu beantworten ist sie nicht. Schalke gilt eigentlich als Proletarierverein. Schalker werden noch immer „Knappen“ genannt, wie früher die Gesellen unter Tage. Wenn die brasilianischen, serbischen und dänischen Millionäre aufs Spielfeld laufen, erklingt noch heute das Lied „Glück auf, Glück auf, der Steiger kommt“. Der Manager Rudi Assauer trinkt in Werbespots Bier und haut seiner Freundin demonstrativ auf den Po, in Interviews nuschelt er mit Stumpenzigarre im Mund O-Töne wie „Wenn der Schnee schmilzt, sieht man die Scheiße“. Schalke 2005 ist eher proll als proletarisch.

In der Vergangenheit tat sich die Politik schwer mit dem S 04, der alle paar Jahre in einen veritablen Skandal verwickelt war. Zwar ist der Vereinsvorsitzende ein CDU-Lokalpolitiker, doch einer, den niemand kennt. Für die sozialdemokratische Stadtverwaltung hat Assauer, der mit der „Arena auf Schalke“ das modernste Stadion Europas, ohne öffentliche Gelder, gebaut hat, nicht einmal ein paar lumpige Ehrenkarten übrig.

Wer kann glaubhaft den blau-weißen Schal auf der Tribüne schwenken? Im nun beginnenden Um-die-Wette-Ranwanzen sieht es für die CDU nicht gut aus. Spitzenkandidat Jürgen Rüttgers kann man sich eher auf einer Tupper-Party als auf der Meisterfeier in einem Fußballstadion vorstellen. Über Frau Merkel sprachen wir schon. Und Edmund Stoiber, der Mann unter den Unionsgranden, gehört als bayerischer Ministerpräsident schon qua Amt zum Feind.

Für Rot-Grün ist die Ausgangslage besser: Habituell passen Schröder und Fischer als Aufsteiger mit Manierendefizit gut zum Assauer-Club. Mit Franz Müntefering (Sauerland) und Wolfgang Clement (Bochum) gibt es zudem kernige NRWler in Führungspositionen und mit dem Finanzpolitiker Joachim Poß sogar einen echten Gelsenkirchener. Dumm nur: Viele Sozis haben sich auf den lokalen Rivalen Borussia Dortmund festgelegt. In deren Westfalenstadion jubelte der Kanzler vor laufenden Kameras – als es beim BVB noch gut lief. Mittlerweile wurde Schröder auch bei Hannover 96 gesichtet, aber im Archiv gibt es von ihm prophetische Äußerungen wie: „Wenn man so will, ist die Borussia ein Modell moderner Sozialdemokratie: Innovation und Gerechtigkeit.“ Nach allen Seiten abgesichert hat sich der vorsichtige Franz Müntefering. Der SPD-Parteivorsitzende erzählt Journalisten seit Jahren, in seinem Büro hänge sowohl ein BVB-Schal als auch ein Schalke-Schal. Wahrscheinlich ist Münte auch evangelisch und katholisch, fährt im Urlaub an die Berge und an die See und hält BMW und Mercedes für das bessere Auto.

Doch für den durchschnittlich opportunistischen Politiker ist Schalke 04 eigentlich eine zu riskante Wette. Man muss schon ein echter Schalker sein. Dieses Kriterium erfüllten nur zwei Politiker, deren Zeit unglücklicherweise schon abgelaufen ist. FDP-Trommler Jürgen W. Möllemann machte aus seinem blau-weißen Herzen nie eine Mördergrube: In den Vereinsgremien konstruierte er innovative Finanzierungen mit und sprang mit dem Fallschirm vor 60.000 jubelnden Fans auf den heiligen Rasen. Seit seinem spektakulären Tod erinnert in der „Arena auf Schalke“ eine eigene Gedenktafel an Möllemann.

Und dann gibt es doch noch einen rot-grünen Spitzenmann, der ein authentischer Schalker ist: Ludger Volmer. Der stammt aus Gelsenkirchen und hat auch seine Söhne königsblau erzogen. Als Volmer 1999 für sein Amt als Staatsminister im Auswärtigen Amt seine pazifistischen Positionen über Bord warf, antwortete er einer taz-Reporterin auf die Frage nach seinem Rückgrat: Er habe seinen Sohn „so erzogen, dass er stolz die Schalke-Fahne trägt, obwohl er in Bonn inmitten von Bayern- und BVB-Fans aufgewachsen ist“. Na bitte.