Im Handschuhfach

Schon wieder ist im Boulevardblatt „tz“ ein falsches Foto aufgetaucht. Geliefert hat es ausgerechnet die Polizei

Welch ein Bild: Eine Frau liegt, aufs Äußerste gequetscht und gefaltet, hinter dem Armaturenbrett eines Autos, ihr Kopf schaut aus dem Handschuhfach. Welch ein Bild, dachten sich auch die Redakteure der Münchner Boulevardzeitung tz – und veröffentlichten die Aufnahme am 24. März quer über die Titelseite, die Schlagzeile dazu: „Die Frau aus dem Handschuhfach – so bringen Schleuser Illegale nach Bayern“. Dem dazugehörigen Artikel zufolge wurde das Foto kürzlich an der deutsch-tschechischen Grenze aufgenommen und zeigt laut tz eine „junge Asiatin“ beim Versuch, nach Deutschland zu gelangen. Auch Bild München verwendet das Foto, allerdings erheblich kleiner. Pech nur, dass sich ein PR-Mann aus München angesichts der tz-Titelseite daran erinnerte, das Foto schon einmal anderswo gesehen zu haben.

Tatsächlich ist die Aufnahme bereits im September 2001 in US Customs Today, dem Mitteilungsblatt des US-Zolls, veröffentlich worden. Auf dessen Homepage kann man das Bild bis heute finden. Natürlich zeigt es auch keine Asiatin, die sich nach Deutschland einschmuggeln will, sondern eine Mexikanerin, die an der US-Grenze entdeckt worden war. Insbesondere für die tz war damit das zweite Foto-Desaster binnen kurzer Zeit perfekt: Bereits während der Flutkatastrophe zur Jahreswende hatte die Zeitung das spektakuläre Bild einer Riesenwelle veröffentlicht – das leider ebenfalls bereits mehrere Jahre alt war. Andere Zeitungen, darunter die Bild, hatten den Schwindel erkannt und das Foto aussortiert.

Im Falle der vorgeblichen Schleuser-Aufnahme allerdings glaubte man bei der tz, der Quelle vertrauen zu können – denn das Bild stammte von der Polizei, die es bei einer Pressekonferenz ausgehändigt hatte. Inzwischen hat man beim zuständigen Polizeipräsidium Niederbayern/Oberpfalz den Fehler eingesehen und die Verwendung des Fotos untersagt. Den schwarzen Peter reicht man auf Anfrage aber weiter nach Osten. Wie Ludwig Stegerer, Pressesprecher des Präsidiums, mitteilt, stammt die Aufnahme von einem slowenischen Polizeikollegen, mit dem man schon länger zusammenarbeite. Unbeantwortet bleiben dagegen die Fragen, warum man sich bei den deutschen Ordnungshütern nicht darüber wunderte, dass Bilder von der deutsch-tschechischen Grenze ausgerechnet in Slowenien auftauchen. Oder darüber, dass die Frau auf dem Foto wenig asiatisch aussieht.

Womit die Vermutung bleibt, dass die „Frau aus dem Handschuhfach“ schlicht eine zu gute Gelegenheit bot, mal wieder richtig Stimmung zu machen in einem zurzeit heiß diskutierten politischen Bereich. Nachfragen wären eher hinderlich gewesen.

JÖRG SCHALLENBERG