So falsch, dass es schon wieder wahr ist

Nicht nur am 1. April lügt das US-Magazin „Weekly World News“, dass sich die Balken biegen. Falschmeldungen gehören hier zum Konzept, aber anders als die seriösen US-Medien geben die Schwindler das zu – das macht siezu subversiven Satirikern

von ADAM LUX

Je zwielichtiger das Milieu, desto seriöser der Anstrich, den es sich zu geben bemüht ist. Das gilt für Manager, Gebrauchtwagenhändler, Politiker und vor allem für die Medienbranche. Unter Journalisten gilt hierzulande hehre Objektivität als Ideal, edle Wahrhaftigkeit als Pflicht, die Falschmeldung als Störfall und die Lüge als Todsünde – wovon Journalisten wie Tom Kummer oder Gerd Heidemann ein Duett singen könnten.

Der eine hat für das SZ-Magazin Interviews erfunden, der andere für den Stern Hitlers Tagebücher „entdeckt“. Beide wurden sie erst für ihre sensationelle Arbeit gefeiert, dann überführt – und schließlich aus dem Kreise einer Kollegenschaft exkommuniziert, die sich in ihrem Bemühen um Glaubwürdigkeit verraten sah. Als „vierte Macht“ im Staate macht man so was eben nicht. Es sei denn, wir haben den offiziellen „Tag der Falschmeldungen“. So wie heute.

Was für den Biedermann der Karneval, das ist für den seriösen Journalisten der 1. April. Ein Ausnahmezustand, der die kurzfristige Befreiung von der Schwerkraft professioneller Zwänge und Konventionen erlaubt. Dann berichtet die Qualitätspresse „augenzwinkernd“, die schwäbische Tradition der „Kehrwoche“ würde ins Unesco-Weltkulturerbe aufgenommen werden. Und im öffentlich-rechtlichen Radio wird „schmunzelnd“ behauptet, der Boxer Axel Schulz plane eine Karriere als Politiker.

Unerheblich ist dabei, wie müde die bemühten Scherzchen daherkommen. Denn die Falschmeldung zum 1. April dient gar nicht primär dem Amüsement des Publikums, sondern der Triebabfuhr der Macher. Ulk, Ente oder Fake sind konstruierte Ausnahmen zur Bestätigung einer ebenso konstruierten Regel: die von der objektiven, wahrhaftigen Presse. Genau das ist ja das Praktische am heutigen „Tag der Falschmeldung“: An allen anderen Tagen des Jahres kann aufgeregt darauf hingewiesen werden, bei dieser oder jener unglaublichen Nachricht handele es sich keineswegs um einen „verfrühten“ oder „verspäteten“ Aprilscherz. Geschwindelt, gelogen und gefälscht wird natürlich trotzdem.

Über jeden Verdacht erhaben ist da höchstens eine Zeitung wie die weltweit verrufene Weekly World News (WWN). Die Zeitung im Tabloidformat wird in Florida hergestellt, erzielt zeitweise Auflagen von bis zu 800.000 Exemplaren und profitiert von einem originellen Vertriebsweg: Sie liegt an den Kassen aller größeren US-Supermarktketten aus, man muss sich danach bücken – und sich eigentlich schämen, die schmierigen schwarzweißen Seiten in der Öffentlichkeit durchzublättern.

Zugunsten sensationeller Nachrichten verzichtet das wöchentlich erscheinende Blatt auf publizistische Integrität. Das tut die Bild-Zeitung auch, aber im Gegensatz zum echten Boulevard verzichtet WWN sogar auf die Simulation von Seriosität. Und das macht die WWN zu einer Perle der subversiven Satire.

In einer Gesellschaft, wo vorgeblich seriöse Medien nachgewiesenermaßen PR-Meldungen der Bush-Administration ungeprüft und willfährig ins Programm oder auf die Seiten nehmen, ist ein erklärtes Schwindelblatt auf der sicheren Seite. Da weiß man wenigstens, was man hat. Dass immer mehr vor allem junge US-Amerikaner auf der Suche nach infiltrationsfreier Information die Satire-Sendung „Daily Show“ anschalten, ist nur ein weiterer Hinweis auf die schleichende Entwirklichung des Medienbetriebs – zumal die „Fälscher“ und „Scherzbolde“ der Wahrheit oft näher kommen, als es Meinungsrittern und Lobbyisten je möglich wäre.

Bizarre Blüten wie die WWN allerdings können offenbar nur in den USA gedeihen. Zwischen 1993 und 1996 gab es ein ähnliches Heft auch in Deutschland. Die Neue Spezial („Deutschlands wundersamste Zeitschrift“) verkaufte ihre knapp 20.000 Exemplare vor allem im Osten, wo sie allerdings mit klassischen Schmierblättern wie Coupé oder Praline konkurrieren musste – und eingestellt werden musste, weil sich die Anzeigenkunden mit dem „sensationellen redaktionellen Umfeld“ nicht anfreunden mochten.

Dennoch hat die WWN oder ihre deutsche Version die Boulevardpresse nachhaltig verändert. Die bizarren Blätter haben uns gelehrt, Gedrucktes nicht für bare Münze und den Trash als feine Ironie zu lesen. Leider haben das auch die „seriösen“ Boulevardjournalisten längst begriffen und ihren Stil dem geschulten Leser angepasst. Wer war kürzlich laut Bild-Zeitung noch mal schuld am Tsunami? Genau, der Uranus. Oder doch Adolf Hitler?