Das Ende einer langen Tragödie

Die Wachkoma-Patientin Terri Schiavo ist tot. Nur Stunden nachdem der Oberste Gerichtshof der USA erneut die Wiedereinsetzung der Magensonde verwehrt hatte, starb die 41-Jährige. Die Debatte aber wird weitergehen

AUS WASHINGTON MICHAEL STRECK

Ein dramatisches persönliches, juristisches und politsches Tauziehen um Leben und Tod der Wachkoma-Patientin Terri Schiavo ging am Donnerstag in Florida mit ihrem Tod zu Ende. Präsident George W. Bush kondolierte der Familie. „Die Essenz der Zivilisation ist es, dass die Starken die Schwachen beschützen müssen“, sagte er in Washington. Sein Bruder Jeb Bush, der als Gouverneur von Florida mehrfach versucht hatte, auf Seiten der Eltern zu intervenieren, bedauerte, dass er nicht mehr habe tun können.

Terri Schiavo lag seit einer Herzattacke vor 15 Jahren im Wachkoma. Ihr Ehemann kämpfte seit 1998 um das Recht, sie sterben zu lassen. Ihre Eltern wehrten sich jedoch verzweifelt gegen sein Ansinnen, da sie glaubten, ihre Tochter sei weiter bei Bewusstsein. Ein Dutzend medizinische Gutachter waren allerdings davon überzeugt, dass ihr Gehirnschaden sie nur noch in einem vegetativen Stadium leben ließ.

In dem Familienstreit, der zum Politikum wurde, mussten die Eltern in den vergangenen zwei Wochen eine Serie von Niederlagen vor Gerichten hinnehmen, obwohl der US-Kongress es ihnen mit einem Sondergesetz ermöglicht hatte, auch vor Bundesgerichten zu klagen.

Am Mittwoch unternahmen sie ihren letzten juristischen Anlauf und wandten sich erneut an ein Bundesberufungsgericht in Atlanta und die obersten Verfassungshüter in Washington, nur um zum wiederholten Male Niederlagen einzustecken. Die Richter in Atlanta verbanden ihre Ablehnung in einem von Rechtsexperten als äußerst ungewöhnlich bezeichneten Schritt zudem mit scharfer Kritik am Eingreifen des Kongresses, der versucht hatte, Schiavo mit Hilfe eines Eilgesetzes am Leben zu erhalten. Das sei ein klarer Verstoß gegen die Unabhängigkeit der Gerichte, schrieb Richter Stanley Birch.

Der Versuch der Eltern, Schiavo am Leben zu erhalten, wurde vor allem von evangelikalen Christen, Abtreibungsgegnern, katholischen Kirchenführern und führenden republikanischen Politikern unterstützt. Treibende Kräfte hinter den hektischen Anstrengungen im Kongress waren die beiden Fraktionschefs der Republikaner im Senat und im Abgeordnetenhaus, Bill Frist und Tom DeLay, die alle Mittel parlamentarischer Tricks und Geschäftsordnung nutzten, um ein Einzelfallgesetz zu verabschieden.

Aus ihren Motiven machten sie keinen Hehl. Der Fall sei ein „großartiges politisches Thema“, das sich gegenüber der christlichen Rechten auszahlen werde, hieß es in einem an die Öffentlichkeit gelangten internen Memo. „Unsere Basis wird begeistert sein, dass wir uns dieser moralischen Frage annehmen.“

Viele Rechtsexperten und die Opposition verurteilten daher das durchsichtige Manöver. Es missachte die von den Konservativen sonst so viel beschworene Gewaltenteilung, die geltende Rechtsprechung und missbrauche einen dramatisches Einzelschicksal für politisch-ideologische Auseinandersetzungen.

Überdies ist nach Ansicht von Kritikern der Fall Terri Schiavo nur ein weiteres Beispiel dafür, wie respektlos die Politik mittlerweile das Justizwesen behandelt und sich nicht scheut, Richter öffentlich an den Pranger zu stellen. Richter würden zunehmend zur Zielscheibe von Angriffen, sagt Jeffrey Rosen, Rechtsprofessor an der George Washington University. Einerseits wenden sich sowohl Liberale als auch Konservative zunehmend an Gerichte, politische Entscheidungen zu fällen, die die Politik unfähig ist zu treffen. Anderseits akzeptieren Politiker immer weniger die Urteile von Richtern, sollten diese nicht in ihrem Sinne entscheiden, und fordern stattdessen andere Richter.

Sätze wie der von Schiavos Vater „Die Richter regieren dieses Land“ dürften daher der „vergifteten Atmosphäre“, so Rosen, im Lande nur noch Vorschub leisten. Im Kongress bahnt sich bereits ein bislang einmaliger Vorgang im Krieg um Richternominierungen an. Die Republikaner drohen geltene Regeln außer Kraft zu setzen, während die Oppostion eine Totalblockade ankündigt.

Doch im Streit um die Sterbehilfe der Terri Schiavo haben sich die Republikaner wohl verrannt. Der eifernde Einsatz der Konservativen hat sich offenbar als Fehlkalkulation erwiesen. Jüngste Umfragen belegen: Eine deutliche Mehrheit der Amerikaner lehnt einen bundesstaatlichen Eingriff in der Sterbehilfe ab. 63 Prozent der Bevölkerung befürworten im konkreten Fall das Ende der künstlichen Ernährung. Und eine Mehrheit meint ebenso, dass der Kongress seine Befugnisse überschritten habe.