Ungesühnter Mord

Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt Türkei wegen schlampiger Ermittlungen bei einem Journalistenmord

Juristische Mühlen mahlen langsam, aber gründlich: Neun Jahre nach der Ermordung des zyperntürkischen Journalisten Kutlu Adali hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg am Donnerstag die Türkei zu einer Zahlung von 20.000 Euro an seine Witwe verurteilt. Damit ist der Fall juristisch abgeschlossen. Doch das Rätsel um den Mord bleibt.

Es war 23.30 Uhr am 6. Juli 1996, als Adali von sechs Kugeln getroffen vor seinem Haus im türkischen Teil Nikosias niedergestreckt wurde. Der 61-Jährige arbeitete für das Oppositionsblatt Yeniduzen und hatte zuvor über einen dubiosen Einbruch berichtet. Unbekannte waren in das verlassene Kloster Sankt Barnabas eingedrungen und hatten angeblich einen antiken Sarkophag mitgenommen. Über dessen Inhalt wird bis heute spekuliert: Angeblich enthielt er den Schmuck griechischer Familien, die Jahre zuvor aus Nordzypern geflüchtet waren.

Als der zuständige Polizeiermittler am Kloster eintraf, bedeutete man ihm unmissverständlich, er habe den Tatort umgehend zu verlassen. Erst die Recherchen Adalis brachten erstes Licht ins Dunkel: Demnach war vor dem Kloster während des Einbruchs ein Renault Toros mit dem Kennzeichen CV 765 geparkt. Das Pikante: Das Fahrzeug gehörte der „zivilen Verteidigungsgruppe“, deren Tätigkeit im türkisch besetzten Nordzypern zwischen militärischen Hilfsaktionen und rechtsradikalen Hilfsdiensten verschwimmt.

Kurz darauf erhielt Adali Morddrohungen. Nach seinem Tod ermittelte die Polizei ähnlich effektiv wie beim Einbruch ins Kloster. Wichtige Zeugen wurden nicht vernommen, Indizien wurde nicht nachgegangen, und die Witwe erhielt keinerlei Zugang zu den Akten. Ein Tatverdächtiger kam gar nach kurzer Zeit wieder frei. Die Ermittlungen verliefen im Sande – wie offenbar von ganz oben erwünscht.

Dass der oder die Täter jemals gefasst werden, ist mit dem Urteil nicht wahrscheinlicher geworden. Aber jetzt steht höchstrichterlich fest, dass unzureichend und ungewöhnlich wenig zu möglichen politischen Motiven ermittelt worden ist, wie es in dem Urteil heißt.

KLAUS HILLENBRAND