Kein Dominoeffekt in Zentralasien

Nach dem Umsturz in Kirgisien ist vorerst nicht mit weiteren Machtwechseln in den angrenzenden zentralasiatischen Exsowjetrepubliken zu rechnen, obwohl es eigentlich genug Anlässe gäbe. Doch die Opposition ist meist zu schwach

AUS TASCHKENT PETER BÖHM

In den zentralasiatischen Staaten ist der Sturz der kirgisischen Regierung mit großer Aufmerksamkeit verfolgt worden wie auch schon letztes Jahr die „Rosenrevolution“ in Georgien und die „gelbe Revolution“ in der Ukraine. Dennoch dürften die Ereignisse in Kirgisien kaum zu weiteren Umstürzen in Zentralasien führen. Denn trotz stark gesunkenem Lebensstandards nach dem Zerfall der Sowjetunion blieben in Kirgisiens Nachbarländern die Exkommunisten an der Macht und stützen sich weiter auf den aus der Sowjetzeit stammenden Sicherheitsapparat. Größere Proteste blieben aus. In Kirgisien dagegen war es schon nach den Schüssen auf eine Antiregierungsdemonstration im gesamten Sommer 2002 zu Massenprotesten gekommen.

In Kirgisiens Nachbarland Kasachstan ist die Opposition noch am besten organisiert, weshalb das Land am noch ehesten für einen Machtwechsel in Frage kommt. Zwar gewann die Opposition bei den Parlamentswahlen im Herbst nur einen Sitz, doch nahm sie den aus Protest gegen Wahlfälschungen nicht an. Die schärfste Oppositionspartei, die Demokratische Wahl Kasachstans (DMK) wurde kürzlich verboten. Dennoch zeichnet sich ein Oppositionsbündnis aus DMK, Kommunisten und der moderaten Partei Ak Schil ab, die schon einen Minister im Kabinett stellte. Sollte sich dieses Bündnis auf einen gemeinsamen Kandidaten für die 2006 geplanten Präsidentschaftswahlen einigen, könnte dies durchaus die Macht von Präsident Nursultan Nasarbajew gefährden.

Allerdings wird Kasachstan wohl in zehn Jahren zu den fünft weltgrößten Ölexporteuren gehören. Schon in den vergangenen zwei Jahren gab es ein Wirtschaftswachstum von knapp 10 Prozent. Deshalb warnt der Menschenrechtsaktivist und Journalist Sergei Duwanow: „In Kasachstan ist alles anders. Bei uns gibt es eine Mittelschicht, die vom Regime profitiert, unsere Opposition ist schwach, und im Großen und Ganzen zeigt die Bevölkerung wenig Willen zur Teilhabe am politischen Prozess.“

Zu den Parlamentswahlen in Turkmenistan und Usbekistan im Dezember hatten die staatlichen Wahlbehörden jeweils keine Oppositionsparteien zugelassen, so dass die Wähler nur zwischen Regierungsparteien wählen konnten. Turkmenistan hat ohnehin ein von Präsident Sapamurat Nijasow handverlesenes Parlament, dass sich viermal im Jahr trifft, um alle Entscheidungen des „Führers der Turkmenen“ auf Lebenszeit per Akklamation abzusegnen.

In Usbekistan verschärften die Herrschenden nach dem Machtwechsel in Georgien die Kontrolle von Nichtregierungsorganisation. Der gestürzte georgische Präsident Eduard Schewardnadse hatte das Open Society Institut des US-Milliardärs George Soros für seinen Sturz verantwortlich gemacht. Deshalb wurde das Open Society Institut „eingeladen, das Land zu verlassen“, wie Präsident Islam Karimow mitteilte.

Auch die Vertretung der US-Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch kämpft zurzeit um ihren Verbleib im Land. Zudem ist in Usbekistan der Polizeiapparat größer, besser und organisierter als in Kirgisien. „Die Regierung würde brutale Provokationen organisieren, um jeden Aufmüpfigen zu bestrafen“, glaubt die Menschenrechtlerin Oxana Turgunowa. Allerdings gab es im Herbst bereits Ausschreitungen in einigen Basaren, als die Regierung den Einzelhandel stärker reglementieren wollte.

Nur Tadschikistan hat eine grundsätzlich anderen Ausgangslage: Nach Massenprotesten stürzte das Land bereits 1992 in einen fünfjährigen Bürgerkrieg, in dem sich regionale Clans entlang der Linie islamische und postkommunistische Ordnung gegenüberstanden. „Als ich die Plünderungen in Bischkek im Fernsehen sah, hat es mich an die Unruhen hier von 1992 erinnert“, sagt die Sekretärin Saida Abdurahmanino.

In Tadschikistan fanden im März am selben Tag Wahlen statt wie in Kirgisien: Unabhängige Medien und Wahlbeobachter berichteten über massive Fälschungen. Dennoch rief die Opposition nicht zu Protesten auf, sie legte vielmehr Beschwerde beim obersten Gerichtshof ein. „Das Wichtigste in unserem Land ist, dass Ruhe und Frieden herrscht“, sagte der stellvertretende Vorsitzende der Partei der Islamischen Wiedergeburt, Mukhidin Kabiri. „Die Tadschiken wollen vor allem den Bürgerkrieg vergessen.“