Iss mal was anderes

EXOTISCHES ESSEN In Berlin gibt’s für Abenteurer viel zu entdecken: Insekten, Quallen oder Kutteln können köstlich schmecken

Besonders am Wochenende gehen die Heuschrecken weg wie Pommes

VON LISA SHOEMAKER

Lebensmitteltabus existieren in allen Gesellschaften. Im Nahen Osten gelten Schweine je nach religiöser Ausrichtung als nicht koscher oder nicht halal, auch Krustentiere, die Aasgeier der Meere, werden als unrein angesehen. Matjes in Sahnesoße dagegen lässt Italiener erschaudern, Milch als Getränk ruft bei den meisten erwachsenen Asiaten Ekel hervor, ein Selbstschutz, weil ihnen das Verdauungsenzym Laktase fehlt.

Was als exotisch empfunden wird, ändert sich aber auch mit der Zeit. So zauderte ich in den 1980er-Jahren, rohen Fisch auf süßsaurem Reis zu probieren, während meine zweijährige Tochter zehn Jahre später Sushi zu ihrem Lieblingsessen erkor.

Tom Parker Bowles, im Hauptberuf Camillas Sohn, ist Food Writer, sprich: Er schreibt übers Essen. So jettet er durch die Welt, probiert Hund in Korea, Fugo in Japan, riesige Wasserkäfer in Laos und manch andere exotische Speisen. Wer weniger illustrer und betuchter Herkunft ist, kann aber auch in Berlin die ein oder andere Kuriosität probieren.

Quallensalat bietet das chinesische Restaurant Selig in der Kantstraße. Aber vermischt mit fein gehobeltem Gemüse, erinnern die in Streifen geschnittenen Quallen eher an etwas dick geratene Glasnudeln, bieten beim Kauen jedoch mehr Widerstand, und ihr Verzehr kostet weniger Überwindung als das Knabbern an den Heuschrecken.

Den Verzehr von Insekten bezeichnet man als Entomophagie. Da auch bei den Affen Insekten auf dem Speisezettel stehen, ist es wahrscheinlich, dass unsere Urahnen derlei Kost nicht verachteten. Für die alten Griechen und Römer ist der Insektenkonsum verbrieft.

Peter Lund Simmonds, ein englischer Reisender und Autor des 19. Jahrhunderts, beschreibt die Heuschreckenjagd nordamerikanischer Indianer in seinem Buch „The Curiosities of Food“ (1859). An einem Ort, wo es vor Heuschrecken wimmelte, schaufelten sie zunächst Erdöfen, in denen sie Feuer entfachten, bis sich die Erde rundum erhitzte. Dann wurde eine Grube ausgehoben, tief genug, dass die Tiere nicht heraushüpfen konnten. Alt und Jung stellte sich in einem weiten Kreis um die Grube auf und trieb die Tiere mit Ruten auf das Loch zu. Sobald die Heuschrecken in der Falle saßen, steckte man sie in grobe Leinensäcke, weichte sie einige Minuten in Salzwasser ein und warf sie anschließend in die Erdöfen, die mit großen, flachen Steinen abgedeckt wurden. Gegessen wurden die Heuschrecken entweder ganz oder zerstoßen in einer Suppe. Durch die europäische Kochliteratur des 19. Jahrhunderts geistert Ähnliches: eine Maikäfersuppe aus gemörserten Käfern.

In den gängigen Kochsendungen kommt dieses Thema nicht vor. Nur Arte brachte einen Film über Streetfood der besonderen Art in Bangkok. Straßenhändler, die frittierte Insekten feilbieten, kommentieren ihre Ware, etwa dass die Insekten, in einem bestimmten Öl frittiert, richtig lecker aussehen. Und der Kommentator erzählt aus dem Off, der Konsum von Insekten steige, sie enthielten viel Kalzium und machten nicht dick: große Wasserkäfer aus Kambodscha, verpuppte Seidenspinner, Heuschrecken, denen die Flügel ausgerissen wurden. Die Kunden beäugen die Ware sorgfältig, wollen nicht jeden Käfer. Der Geschmack ist auch von der Nahrung der Tiere abhängig, Heuschrecken aus Maisfeldern seien richtig lecker, diejenigen, die sich an Zuckerrohr laben, schmeckten eher streng.

In Berlin stehen Heuschrecken und Schwarzkäferlarven auf der Speisekarte des australischen Restaurants Never Never Land Outback in Friedenau, wahlweise frittiert auf Salat oder als Nascherei in Schokolade. Wie kommt die Küche zu den Zutaten? Auf Nachfrage erzählt der Koch: „Die Insekten werden lebend angeliefert und schockgefrostet. Der Lieferant züchtet sie speziell für den menschlichen Verzehr.“ Also nicht aus dem Zoofachgeschäft nebenan oder gar eigenhändig gejagt. Und der Absatz? „Besonders am Wochenende gehen sie weg wie Pommes.“ Für weniger abenteuerlustige Esser hält das Outback Spezialitäten wie Känguruburger oder Krokodilsteak bereit. Auch Schlange gibt es, aber nur auf Vorbestellung.

Andere Lebensmittel dagegen verschwinden von der Speisekarte. Innereien, insbesonders Kutteln gehören dazu. Wer sie probieren möchte, kann zum Beispiel die türkische Kuttelsuppe im Restaurant Mey in der Bleibtreustraße probieren oder auf toskanische Art in der Bar Centrale in der Yorckstraße. In Japan kredenzt Shoichi Uchiyama neuerdings Spinnensushi und schafft es damit als Schlusslicht in die deutsche „Tagesschau“. Dass das meiner Tochter schmecken würde, bezweifle ich allerdings.

Selig: Kantstr. 51, 10625 Berlin, Tel. (0 30) 31 01 72 41 Never Never Land „Outback“: Cranachstraße 55, 12157 Berlin, Tel. (0 30) 8 55 00 99, www.never-never.de Mey: Bleibtreustraße 47, 10623 Berlin, Tel. (0 30) 88 68 15 85, www.restaurantmey.de Bar Centrale: Yorckstraße 82, 10965 Berlin, Tel. (0 30) 7 86 29 89, www.bar-centrale.net