: Meisterdämmerung
„Jo, ’s isch a Scheißschpiel“: Nach der 1:2-Heimpleite gegen den VfB Stuttgart begraben die Bremer auch die letzten Hoffnungen, dass sie zum Saisonende nochmals die Schale stemmen dürfen
AUS BREMEN MARKUS JOX
Das dürfte es dann gewesen sein an der Weser: Nach der vielleicht etwas unglücklichen, aber keineswegs unverdienten 1:2-Heimniederlage am Samstagnachmittag gegen den VfB Stuttgart hat Werder Bremen die diesjährige deutsche Meisterschaft offensichtlich abgeschrieben. „Das war’s mit der Meisterschaft“, analysierte „Stürmer“ Miroslav Klose mit dem ihm eigenen traurigen Blick die Lage des Tabellenvierten, der jetzt bereits 9 Punkte Rückstand auf das Spitzenduo Bayern und Schalke zu beklagen hat. Sportchef Klaus Allofs schob gar eine Warnung vor dem Durchgereichtwerden hinterher: „Wir müssen sehen, dass wir nicht weiter an Boden verlieren und nicht die Plätze vier und fünf aus den Augen verlieren.“
Dabei hatten sie eigentlich eine meisterliche Inszenierung geplant gehabt am Bremer Osterdeich. Bestes Wetter, volle Hütte – da war es klar, dass die Werder-Verantwortlichen während des Aufwärmtrainings viele bonbonbunte Bilder von der Meisterfeier 2004 über die Videoleinwand flimmern ließen, unterlegt mit einem Tonteppich aus frenetischem Jubel, Torgeschrei und Fanchorälen. Ein feiernder Ailton, ein still genießender Trainer Schaaf, dazu die Werder-Hymne und die Meisterschale auf dem Rathausbalkon. Obendrein erinnerte der Stadionsprecher an das Jahr 1985, als man den VfB einmal mit 6:0 geschlagen habe – „eine satte Sache war das“, freute er sich. Dann stolperten Klose, Klasnic & Co. los.
Es wurde ein schwaches Spitzenspiel, bestimmt von nett kombinierenden, wacker anrennenden, aber gleichwohl merkwürdig saturiert wirkenden Bremern. Und von Stuttgartern, die allen Offensivbemühungen der Gastgeber ihren bewährten Abwehrriegel vorschoben. „Ist irgendwie ein komisches Fußballspiel“, ächzte ein norddeutscher Berichterstatter auf der Pressetribüne seinem Nebenmann ins Ohr. Dieser, dem Idiom nach aus Stuttgarter Gefilden stammend, replizierte mit schwäbischer Direktheit: „Jo, isch a Scheißschpiel!“
Die zweite Halbzeit begann einen Tick feuriger: Während VfB-Torhüter Timo Hildebrandt sich noch in provozierender Seelenruhe Dehnungsübungen hingab, köpfte auf der anderen Seite Silvio Meißner nach einem Eckball von Aliaksandr Hleb ungestört und brav ins Netz (48.). Doch kaum hatte Ivan Klasnic vier Minuten später den Ausgleich erzielt, hielten wieder Bräsigkeit und Ödnis Einzug in das Spielgeschehen. Selbst die Ostkurve des Weserstadions, in der sich die Hardcorefans der Grün-Weißen tummeln, blieb erschreckend stumm: ein monolithischer Block aus Schalträgern, so schweigsam und bedrückt, dass man auf die ketzerische Idee hätte verfallen können, dort würde des sterbenden Papsts gedacht.
Diese Ruhe, die stets nur dann zum Raunen wurde, wenn wieder ein Treffer der Bayern oder der Schalker vermeldet wurde, endete erst, als Valérien Ismaël mit einer Beingrätsche an der Seitenauslinie in der 84. Minute erfolgreich um die gelb-rote Karte bettelte. Nur drei Minuten später drückte Christian Tiffert den Ball zum 2:1 für den VfB über die Torlinie. Der bereits erwähnte Schwaben-Reporter hatte das früh kommen sehen. Der VfB spiele bereits die gesamte Rückrunde über „schlecht, aber erfolgreich“, hatte er analysiert – „und so spielet se heit au wiedr“.
Nach dem Schlusspfiff schlichen, ja huschten die Werder-Profis aufs eiligste in den Kabinengang – in dem Bewusstsein, die Restchancen auf die Meisterschaft endgültig vergeigt zu haben. Die Schwaben wiederum schienen ihr Glück kaum fassen zu können. Selbst Trainer Matthias Sammer, dem es an lautsprecherischem Selbstbewusstsein eigentlich nicht mangelt, schien angesichts der 3 Punkte beinahe ein schlechtes Gewissen zu haben: „Der Sieg ist schon ein bisschen glücklich“, druckste er herum, „die Bremer hatten insgesamt mehr Spielanteile.“
Werder-Trainer Thomas Schaaf glänzte derweil in seiner Paraderolle als finster dreinblickender Fußballlehrer: „Ich kann die Statistik bald nicht mehr sehen“, moserte er los. In der Tat vermeldeten die nach der Partie verteilten „Spieldaten“ Vorteile der Bremer in allen Bereichen – von den Torschüssen über Ecken, Flanken, Ballkontakte bis zu den Zweikämpfen. Allein bei den Treffern lag der VfB vorne. „Es reicht eben nicht, die beherrschende Mannschaft zu sein“, lautete Schaafs lapidares Fazit. Leider schaffe man es nicht, das entscheidende Tor zu schießen und auch mal in Führung zu gehen. Schaaf: „Wir waren eben nicht stark genug, Stuttgart zu schlagen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen